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Forschung zu TGN1412 – Fc:Fcγ-Rezeptor Interaktion: Starke Bindung heißt nicht starker Effekt

Aktuelle Forschungsarbeiten des Paul-Ehrlich-Instituts stellen ein Postulat aus der Immunologie in Frage: Ging man bisher davon aus, dass die Stärke der Interaktion zwischen dem Fc-Teil eines monoklonalen Antikörpers mit seinem Rezeptor über das Maß der Wirkung entscheidet, so weisen die aktuellen Ergebnisse darauf hin, dass dies offenbar nicht immer stimmt: Die fast nicht nachweisbare Interaktion von TGN1412 mit dem niederaffinen Fc-gamma-Rezeptor II (FcγRII) vermittelt einen starken Effekt, während die starke Interaktion mit dem FcγRI kaum eine Wirkung zeigt. Über die aktuellen Ergebnisse berichtet das European Journal of Immunology in seiner Online-Ausgabe vom 19.04.2019.

Eine stetig wachsende Anzahl unterschiedlicher monoklonaler Antikörper (mAk) wird zur Beeinflussung des Immunsystems und zur Behandlung einer ebenfalls stetig steigenden Zahl von Erkrankungen eingesetzt. Antikörper, auch als Immunglobuline (Ig) bezeichnet, ähneln strukturell einem Y. An den kurzen, oberen Armen befinden sich Bindungsstellen, die an spezifische Zielstrukturen, sogenannte Antigene binden. Dieser Teil ist sehr variabel, da die Antikörper für ganz unterschiedliche Antigene spezifisch sind. Den „Fuß“ des Y bildet der Fc-Teil, der weniger variabel ist und die Ig-Subklasse eines Antikörpers bestimmt. Der Fc-Teil vermittelt die Effektorfunktion eines Antikörpers wie beispielsweise die Komplementaktivierung oder die Bindung an Fc-Rezeptoren (FcR). Die unterschiedlichen Fc-Teile der verschiedenen Ig-Subklassen unterscheiden sich in ihrer Aminosäuresequenz und damit auch in ihren Bindungseigenschaften gegenüber den FcR.

Bislang geht man im Allgemeinen davon aus, dass eine starke Fc:FcγR-Interaktion auch eine starke Effektorfunktion vermittelt, eine eher schwach ausgeprägte Fc:FcγR-Interaktion hingegen keine oder nur eine zu vernachlässigende Effektorfunktion vermitteln kann. Entsprechend der Affinitäten der FcγR für bestimmte IgG-Subklassen und der damit verbundenen Effekte werden für unterschiedliche Indikationen entsprechend mAk unterschiedlicher IgG-Subklassen eingesetzt. So wird beispielsweise bei der Krebstherapie mit Antikörpern eine Fc:FcγR-vermittelte Zelltoxizität zur Bekämpfung von Krebszellen gewünscht und hierfür die Subklasse IgG1 am häufigsten eingesetzt. Dagegen werden IgG2 oder IgG4 dann verwendet, wenn die Fc:FcγR-Interaktion nicht erwünscht ist. Dies ist häufig der Fall, wenn es z.B. um die Neutralisation der Zielstruktur geht.

TGN1412 ist ein mAk, der dramatische Berühmtheit erlangte: TGN1412 war zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis und einer bestimmten Form der Leukämie entwickelt worden. 2006 wurde der Antikörper im Vereinigten Königreich im Rahmen einer sogenannten „First-in-Man“ Studie (Erstanwendung beim Menschen) sechs gesunden Probanden verabreicht. Bei allen Probanden kam es bereits kurz nach der Gabe von TGN1412 zu einer massiven Freisetzung von immunologischen Botenstoffen (Zytokinsturm) mit lebensbedrohlichen Symptomen. In den vorangegangenen Tierversuchen – wichtiger Bestandteil der geforderten Untersuchungen vor einer Erstanwendung beim Menschen – waren keine Anzeichen für Risiken gefunden worden. Die schweren immunologischen Reaktionen kamen daher völlig überraschend.

Intensiv werden seitdem die Mechanismen erforscht, die diese unerwartete Reaktion verursacht haben. TGN1412 wurde als IgG4-mAk entwickelt, da für seine geplante Wirkungsweise nur die Bindung an die Zielstruktur (CD28 auf T-Zellen) gewünscht war, nicht aber eine Interaktion mit FcγR. Untersuchungen im Nachgang der katastrophalen „First-in-Man„-Studie mit TGN1412 konnten aber zeigen, dass zumindest in vitro genau solche Fc:FcγR-Interaktionen entscheidend zur Ausbildung des Zytokinsturms beitragen.

Forscherinnen und Forscher um Prof. Zoe Waibler, Leiterin des Fachgebiets Produktprüfung immunologischer Arzneimittel der Abteilung Immunologie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), haben nun unerwartete Forschungsergebnisse erzielt: Zunächst konnten sie nachweisen, dass die bislang bekannten Muster von Fc:FcγR-Interaktionen auch auf TGN1412 zutreffen. TGN1412 als Mitglied der IgG-Suklasse 4 interagiert kaum mit niederaffinen FcγR, wird jedoch vom hochaffinen FcγRI gebunden. Überraschend war jedoch, dass die fast nicht nachweisbare Interaktion von TGN1412 mit dem niederaffinen FcγRII eine starke Effektorfunktion, nämlich die Proliferation (Vermehrung) von T-Zellen, vermittelt. Umgekehrt ruft die vergleichsweise starke Interaktion zwischen TGN1412 und dem hochaffinen FcγRI eine nur sehr geringe T-Zell-Proliferation hervor. Diesen Effekt haben die Forscher sowohl mit transgenen Zelllinien beobachtet als auch mit primären menschlichen Blutzellen.

„Diese Ergebnisse tragen zu einem noch besseren Verständnis immunologischer Prozesse bei und sollen ebenso wie regulatorische Maßnahmen dazu beitragen, dass sich solche Katastrophen nicht wiederholen“, kommentiert Waibler die unerwarteten Befunde.

Originalpublikation

Dudek S, Weißmüller S, Anzaghe M, Miller L, Sterr S, Hoffmann K, Hengel H, Waibler Z (2019): Human Fcγ receptors compete for TGN1412 binding which determines the antibody’s effector function.
Eur J Immunol Apr 19 [Epub ahead of print].
Online-Abstract

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