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Die Alzheimer-Forschung ist längst nicht am Ende, auch wenn erneut Studien enttäuscht haben

Nachdem Studien mit dem monoklonalen Antikörper Aducanumab sowohl zur Prophylaxe als auch zur Frühtherapie der Alzheimer-Erkrankung negativ ausgefallen waren und abgebrochen wurden, enttäuschten nun auch zwei weitere Substanzen mit letztlich gleichen Zielstrukturen wie Aducanumab. Das stärkt die Hypothese, dass die zerebralen Alzheimer-spezifischen Amyloid-Ablagerungen kein erfolgreiches Therapietarget sind. Doch die Alzheimer-Forschung ist damit keinesfalls am Ende. Derzeit befinden sich andere vielversprechende Therapieprinzipien in der klinischen Testung.

Trotz großer Fortschritte und neuer Erkenntnisse zur Alzheimer-Demenz bleibt die Suche nach Therapien, die den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder das Fortschreiten verlangsamen können, bislang ohne Erfolge. Erst im März wurde eine Phase-III-Studie mit dem monoklonalen Antikörper Aducanumab eingestellt, da keine positiven Effekte auf die Entwicklung neurokognitiver Defizite zu verzeichnen waren. Die Antikörper binden in Gehirnzellen lösliche Oligomere und Ablagerungen von Amyloid-β, welches bei Alzheimerpatienten demenzbegleitend immer zu finden ist. Die Aducanumab-Studien waren weder zur Prophylaxe noch zur Frühtherapie der Alzheimer-Erkrankung positiv ausgefallen.

Ähnlich erging es den Forschern nun mit Verubecestat, einem sogenannten BACE1-Blocker („beta-site of APP cleaving enzyme“), ein Hemmer des Enzyms, das an der Produktion von β-Amyloid beteiligt ist. Verubecestat weist eine gute ZNS-Penetration ohne Toxizität auf und senkte in klinischen Vorstudien die Konzentration von BACE1-Abbauprodukten im Liquor von Patienten signifikant ab. In einer Phase-III-Studie konnte die Substanz jedoch bei leicht- bis mittelgradiger Alzheimerdemenz das Fortschreiten der Erkrankung nicht aufhalten. Die aktuell im New England Journal of Medicine publizierte Phase-III-Studie [1] untersuchte nun an fast 1.500 asymptomatischen Patienten doppelblind, randomisiert, placebokontrolliert über zwei Jahre die Therapie mit 12 oder 40 mg Verubecestat. Die Patienten hatten per Definition keine manifeste Alzheimer-Erkrankung wie in den anderen Studien, sondern lediglich Prodromi, d. h. uncharakteristische, mögliche Vorzeichen der Krankheit (Gedächtnisstörungen und gering erhöhte zerebrale Amyloid-Konzentrationen, die aber auch allein altersbedingt auftreten können). Im Ergebnis wurde der primäre Endpunkt, messbare Verbesserungen der kognitiven Leistungen im sogenannten „Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes“-Score, nicht erreicht.

Eine weitere getestete Substanz ist das entzündungshemmende, nicht steroidale Antirheumatikum (NSAR) Naproxen. Die Rationale der Studien-Hypothese gründete auf der Tatsache, dass es im Umfeld der Aβ-Plaques im Hirngewebe zu Entzündungsreaktionen kommt, die möglicherweise den neurodegenerativen Prozess beschleunigen. Außerdem wurde beobachtet, dass das Alzheimer-Risiko bei Patienten, die aus anderen Gründen (z. B. Rheuma) mit NSAR behandelt werden, deutlich geringer war als in der Allgemeinbevölkerung [2]. Die INTREPAD-Studie („Investigation of Naproxen Treatment Effects in Pre-symptomatic Alzheimer’s Disease“) [3] verglich daher über zwei Jahre bei 95 gesunden Teilnehmern (mit familiärer Alzheimer-Vorbelastung) die Behandlung mit 2 x 200 mg Naproxen versus Placebo. Primärer Endpunkt waren Änderungen im Alzheimer-Progressions-Score. Im Ergebnis zeigten sich keine signifikanten positiven Behandlungseffekte, unter Naproxen kam es allerdings zu einer höheren substanztypischen Nebenwirkungsrate.

„Erneut erwiesen sich die zerebralen Amyloid-Plaques nicht als klinisch effektives Therapietarget, so dass sich zunehmend die Hypothese aufdrängt, dass Amyloid- β zwar ein Marker, aber kein direkter `Maker´ der Erkrankung ist“, erklärt Professor Dr. Agnes Flöel, Neurologin an der Universitätsklinik Greifswald. Die Erforschung von Medikamenten, die an anderen Therapietargets als dem Amyloid-β ansetzen, werde daher weiter zunehmen, vermutet die DGN-Expertin. „Zurzeit sind über 30 Substanzen gegen Alzheimer in der klinischen Testung [4] – mit ganz unterschiedlichen molekularen therapeutischen Angriffspunkten – und viele davon befinden sich bereits in der Phase-III-Prüfung.“

Ein relativ neues Angriffsziel ist beispielsweise das Tau-Protein, welches im Zellinneren Bestandteil der sogenannten Mikrotubuli ist. Diese kleinsten Röhren dienen dem Stofftransport zwischen den Zellen sowie ihrer Stabilität (Stützskelett). Bei Alzheimer-Patienten ist die Molekülstruktur des Tau-Proteins verändert, so dass es zur Bildung von Tau-„Faserchen“, sogenannten Fibrillen, kommt, die sich in den Zellen ablagern und zum Funktionsverlust der Zellkommunikation sowie zum Zelltod führen. Die Substanz Leuko-Methylthioninium verhindert die Ablagerung von Tau-Fibrillen – erste vielversprechende Studienergebnisse liegen bereits vor [5].

Andere Phase-III-Studien untersuchen sogenannte small molecules, die schützend in Stoffwechselprozesse der Gehirnzellen eingreifen sollen, indem sie Kinasen (bestimmte Enzyme) hemmen (wie z. B. das Medikament Masitinib) [6] oder bestimmte Rezeptoren blockieren (wie z. B. Azeliragon) [7]. Weiter werden sogenannte Autophagie-Enhancer, d. h. Substanzen wie z. B. das Spermidin, die das körpereigene Abräumen von „Zellschrott“ ankurbeln sollen, in Phase IIb-Studien an Patienten in sehr frühen Stadien der Alzheimer Erkrankung untersucht [8].

Auch Alzheimer-Impfstoffe wurden nun, nachdem vor einigen Jahren Studien wegen Nebenwirkungen abgebrochen werden mussten, erfolgreich weiterentwickelt und befinden sich erneut in der klinischen Prüfung [9, 10]. Die Impfstoffe bewirken, dass das Immunsystem körpereigene Aβ-Antikörper bildet, die β-Amyloid „erkennen“ und sich der Körper selbst dagegen wehren kann. „Sie haben zwar letztlich das gleiche Therapietarget wie die Substanzen, die nun negativ getestet wurden, aber möglicherweise ist die körpereigene Abwehr effektiver“, so Prof. Flöel abschließend. „Die Alzheimer-Forschung ist noch längst nicht am Ende und wir sind optimistisch, dass einige der Substanzen, die derzeit getestet werden, zu deutlichen Therapiefortschritten führen werden.“

Literatur
[1] Egan MF, Kost J, Voss T et al. Randomized Trial of Verubecestat for Prodromal Alzheimer’s Disease. N Engl J Med 2019; 380(15): 1408-20
[2] In t‘ Veld BA, Ruitenberg A, Hofman A et al. Nonsteroidal antiinflammatory drugs and the risk of Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2001; 345(21): 1515-21
[3] Meyer PF, Tremblay-Mercier J, Leoutsakos J et al.; PREVENT-AD research group. INTREPAD: A randomized trial of naproxen to slow progress of presymptomatic Alzheimer disease. Neurology 2019 Apr 5. pii: 10.1212/WNL.0000000000007232. doi: 10.1212/WNL.0000000000007232. [Epub ahead of print]
[4] Folch J, Petrov D, Ettcheto M et al. Current Research Therapeutic Strategies for Alzheimer’s Disease Treatment. Neural Plast 2016: 8501693
[5] Wilcock GK, Gauthier S, Frisoni GB et al. Potential of Low Dose Leuco-Methylthioninium Bis(Hydromethanesulphonate) (LMTM) Monotherapy for Treatment of Mild Alzheimer’s Disease: Cohort Analysis as Modified Primary Outcome in a Phase III Clinical Trial. J Alzheimers Dis 2018; 61(1): 435-57
[6] Folch J, Petrov D, Ettcheto M et al. Masitinib for the treatment of mild to moderate Alzheimer’s disease. Expert Rev Neurother 2015; 15(6): 587-96
[7] https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02080364?term=Azeliragon&cond=Alzheim… (aufgerufen am 30.04.2019) ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02080364
[8] Wirth M, Schwarz C, Benson G et al. Effects of spermidine supplementation on cognition and biomarkers in older adults with subjective cognitive decline (SmartAge)-study protocol for a randomized controlled trial. Alzheimers Res The. 2019 May 1;11(1):36
[9] Farlow MR, Andreasen N, Riviere ME et al. Long-term treatment with active Aβ immunotherapy with CAD106 in mild Alzheimer’s disease. Alzheimers Res Ther 2015; 7(1): 23
[10] https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02565511?cond=CAD106&rank=1 (aufgerufen am 30.04.2019) ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02565511

Weitere Informationen:

http://www.dgn.org