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Kinder mit CED: Erfahrungen und Empfehlungen während der Coronavirus-Pandemie

Original Titel:
COVID-19 and Paediatric Inflammatory Bowel Diseases: Global Experience and Provisional Guidance (March 2020) from the Paediatric IBD Porto group of ESPGHAN

DGP – Wissenschaftler sammelten Daten zu Kindern mit chronischer Darmentzündung und COVID-19. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass die jungen Patienten kein erhöhtes Risiko bezüglich COVID-19 aufwiesen. Auf Grundlage der gesammelten Daten entwickelten Experten Leitlinien zur Behandlung von Kindern mit chronischer Darmentzündung zu Zeiten der Coronavirus-Pandemie. Eine Empfehlung lautete, dass die Kinder weiterhin wie gewohnt ihre Medikamente bekommen sollten.


Patienten mit bestimmten Vorerkrankungen haben ein höheres Risiko, dass bei ihnen eine Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 schwerer verläuft. Aus diesem Grund und weil die Betroffenen häufig Medikamente bekommen, die das Immunsystem herunterregulieren, befürchten viele Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED), dass sie zu der Risikogruppe zählen. Generell gibt es derzeit nur wenige Daten zu dem gemeinsamen Auftreten von chronischen Darmentzündungen und COVID-19, der Krankheit, die durch SARS-CoV-2 ausgelöst wird. Internationale Experten interessierten sich diesbezüglich speziell für die jüngeren Patienten. Sie trugen die Erfahrungen, die in verschiedenen Ländern gesammelt wurden, zusammen, um provisorische Leitlinien zur Behandlung von Kindern mit chronischer Darmentzündung in Zeiten der Coronavirus-Pandemie zu erstellen.

Wissenschaftler sammelten Daten von pädiatrischen CED-Zentren verschiedener Länder

Um an die Daten zu gelangen, nutzten die Wissenschaftler eine Online-Plattform (22. März 2020), auf der Wissenschaftler von 32 tertiären Zentren in Europa, Israel und Kanada Angaben machten. Dabei ging es darum, welche Maßnahmen die Zentren aufgrund des Coronavirus-Ausbruchs unternommen haben (in Bezug auf therapeutische Strategien und logistische Organisation der CED-Abteilungen). Des Weiteren verschickten die Wissenschaftler am 20. März 2020 Fragebögen an 19 gastroenterologische Zentren in China, die sich auf die Behandlung von Kindern spezialisiert haben. Diese Zentren betreuten insgesamt 1431 Kinder mit chronischer Darmentzündung. Auch nach Südkorea sendeten die Wissenschaftler Fragebögen (19. März 2020) – und zwar zu 4 tertiären Zentren in Orten, wo die meisten SARS-CoV-2-Infektionen gemeldet wurden. Diese 4 Zentren betreuten 272 Kinder mit chronischer Darmentzündung. Auf Grundlage der gesammelten Informationen erstellten die Experten Leitlinien, die im Anschluss von der Expertengruppe bezüglich pädiatrischer CED (Porto group) der ESPGHAN (The European Society for Paediatric Gastroenterology Hepatology and Nutrition) abgesegnet wurden (bei mindestens 80 % der Stimmen).

Erfahrungen aus China

Die 19 gastroenterologischen Zentren aus China berichteten von 917 Kindern, bei denen eine SARS-CoV-2 angenommen oder bestätigt wurde. Keines der Kinder litt an einer chronischen Darmentzündung. Zwischen dem 20. Januar und dem 20. März sollten 233 Kinder mit chronischer Darmentzündung eine Infliximab-Infusion erhalten. Bei 66 von ihnen (28 %) wurde die Infusion aufgrund der Epidemie um 1 bis 8 Wochen (durchschnittlich um 19,2 Tage) verschoben. 2 Patienten brachen die Therapie vorübergehend ab. Von den 66 Patienten mit verschobener Infusion erlitten 14 Patienten (21 %) einen Krankheitsschub. 10 dieser Kinder mussten aufgrund dessen in ein Krankenhaus (durchschnittlich für 10,6 Tage). Im Vergleich dazu hatten nur 17 Kinder der 1431 CED-Patienten (1,2 %) aus anderen Gründen in diesem Zeitraum einen Krankheitsschub (mangelnde Therapietreue (10 Kinder), unkontrollierte Primärerkrankung (5 Kinder) und C. difficile-Infektion (2 Kinder)).

Erfahrungen aus Südkorea

Zwischen dem 20. Januar und dem 18 März 2020 wurde bei fast allen Kindern (99,3 %) die Verschreibung von Biologika und Immunmodulatoren nicht geändert (weder die Dosis noch das Intervall). Kein Kind mit chronischer Darmentzündung wurde positiv auf SARS-CoV-2 getestet. 13 der 272 Kinder (4,8 %) bekamen jedoch auf Wunsch der Eltern ihre Behandlung mit TNF-Hemmern erst verspätet (mittlere Verzögerung: 17 Tage). Drei dieser 13 Kinder (23 %) erlebten eine Verschlechterung des Morbus Crohns.

Erfahrungen in Europa, Israel und Kanada

In 31 der 32 tertiären Zentren in Europa, Israel und Kanada wurden manche persönliche Termine auf eine Fernüberwachung umgestellt. 30 Zentren vermieden, dass die Patienten ins Krankenhaus kamen. Ausnahme bildeten Krankheitsschübe, Medikamentenabholung und Infusionen. 31 der 32 Zentren ermutigten ihre Patienten, sich weiterhin an ihren Behandlungsplan zu halten und nicht wegen der Coronavirus-Pandemie davon abzuweichen. Weder die Dosis noch die Intervalle sollten geändert werden und auch Kombinationstherapie sollten weiterhin fortgeführt werden. Weitere Maßnahmen der Zentren waren, dass nicht dringliche Endoskopien verschoben wurden und dass Arzneimittel besser zugänglich waren (z. B. durch veränderte Öffnungszeiten der Apotheken und erhöhte Mengen an abgegebenen Medikamenten-Dosen).

Bis zum 26 März 2020 wurde von 8 Kindern mit chronischer Darmentzündung berichtet, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Obwohl die Kinder mit Immunmodulatoren, Steroiden und/oder Biologika behandelt wurden, verlief die Erkrankung bei allen Kindern mild. Kein Kind musste im Krankenhaus behandelt werden. Die chronische Darmentzündung blieb während der Infektion allgemein stabil.

Empfehlungen der Experten zur Betreuung von Kindern mit chronischer Darmentzündung

Auf Grundlage dieser Daten kamen die Experten zu folgenden Ergebnissen/Empfehlungen:

  1. Eine chronische Darmentzündung an sich scheint nach derzeitigem Wissenstand weder ein Risikofaktor für eine SARS-CoV-2-Infektion noch ein Risikofaktor für einen schwereren Krankheitsverlauf von COVID-19 zu sein (100 % Konsens).
  2. Für Kinder mit chronischer Darmentzündung gelten die gleichen Empfehlungen wie für die Allgemeinbevölkerung, um sich vor einer Infektion zu schützen (z. B. gute Händehygiene und Abstand halten) (100 % Konsens).
  3. Wenn es die Situation und die Ressourcen zulassen, sollten die Kinder weiterhin ihre Kontrolltermine wahrnehmen. Fernüberwachung zusammen mit Messungen der Entzündungsmarker könnte hier eine gute Alternative zur persönlichen Untersuchung darstellen. Das gilt vor allem für Patienten in Remission. Ob eine Kontrolltermin verschoben werden sollte, sollte individuell entschieden werden (97 % Konsens).
  4. Eine aktive Erkrankung sollte weiterhin nach den Leitlinien (wie vor der Pandemie) behandelt werden, da das Risiko für Komplikationen einer aktiven Erkrankung das Risiko für COVID-19-Komplikationen überwiegt. Das gilt vor allem für Kinder (97 % Konsens).
  5. Derzeit besteht kein konkreter, begründeter Verdacht, dass irgendeine Behandlung der chronischen Darmentzündung das Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion oder für einen schwereren Krankheitsverlauf erhöht. Nicht infizierte Kinder sollten ihre Therapie wie gewohnt fortsetzen (auch Immunmodulatoren und Biologika), da das Risiko für eine Krankheitsschub schwerer wiegt als das für eine SARS-CoV-2-Infektion (97 % Konsens).
  6. Kortikosteroide können bei einem Krankheitsschub eingesetzt werden. Generell wird aber immer empfohlen, diese so schnell wie möglich wieder abzusetzen. Bei Morbus Crohn sollte eine exklusive enterale Ernährung bevorzugt werden (92 % Konsens).
  7. TNF-Hemmer sollten weiterhin wie geplant angewandt werden. Infusionszentren sollten Menschenansammlungen verhindern und bei Verdacht auf SARS-CoV-2 testen (97 % Konsens).
  8. Bei einer stabilen Erkrankung sollte von einem Wechsel von Infliximab zu Adalimumab abgeraten werden; es sei denn, es ist unmöglich, Infusionen bereitzustellen. In klinischen Studien traten bei einem solchen Wechsel nämlich Krankheitsschübe auf (97 % Konsens).
  9. Es gibt keine klaren Hinweise darauf, dass die CED-Therapien bei einer SARS-CoV-2-Infektion abgebrochen werden sollten, zumal die Medikamente typischerweise einen Langzeiteffekt zeigen. Dennoch wird empfohlen, die immunsupprimierende Therapie auszusetzten, solange bis das Kind fieberfrei ist und gesund erscheint (unabhängig vom SARS-CoV-2-Testergebnis). Bei asymptomatischen Kindern mit positiven SARS-CoV-2-Testergebnissen sollte über eine Änderung der Behandlung individuell entschieden werden. Mesalazin sollte nie ausgesetzt werden (100 % Konsens).
  10. Planbare Operationen und nicht dringende Endoskopien sollten während der Coronavirus-Pandemie verschoben werden (97 % Konsens).

Kinder mit einer chronischen Darmentzündung schienen laut der gesammelten Daten kein erhöhtes Risiko bezüglich COVID-19 aufzuweisen. Die wenigen jungen Patienten, die sich mit dem neuen Coronavirus infizierten, hatten einen milden Krankheitsverlauf und mussten nicht im Krankenhaus behandelt werden – und dass, obwohl sie Immunmodulatoren, Steroide und/oder Biologika bekamen. Erfahrungen aus China und Südkorea zeigten, dass Kinder, deren Medikament-Anwendung verschoben wurde, oftmals einen Krankheitsschub erlitten. Experten schlussfolgerten daraus, dass Kinder auch während der Coronavirus-Pandemie weiterhin wie gewohnt ihre Medikamente erhalten sollten.

[DOI 10.1097/MPG.0000000000002729]

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