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Der deutliche Rückgang der Schlaganfall-Krankenhausfälle während der ersten Pandemiephase blieb nicht ohne Folgen

Eine in „Stoke“ publizierte Arbeit [1] wertete bundesweite Daten zu Schlaganfällen während der ersten COVID-19-Welle aus und zeigte, dass zwischen März und Mai 2020 die Zahl von Patientinnen und Patienten mit vor allem leichteren Schlaganfallsymptomen deutlich zurückgegangen war. Wegen der Angst sich anzustecken, wurden Betroffene offensichtlich nicht oder zu spät vorstellig, und die Schlaganfallsterblichkeit nahm zu. Die Akuttherapie erfolgte in Deutschland während der Pandemiephase ohne Einbußen, prozentual blieben die Behandlungsraten unverändert hoch. Allerdings können wir nur helfen, wenn Patienten mit Schlaganfallsymptomen nicht zögern, sondern umgehend den Notruf 112 anrufen.“

Der Schlaganfall ist eine akute, lebensbedrohliche Krankheit, bei der jede Minute zählt. Als Grundregel gilt, dass die medikamentöse Auflösung des Gefäßverschlusses („Thrombolyse“) innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn erfolgen sollte, auch wenn jüngere Daten zeigten, dass unter bestimmten Bedingungen auch nach Ablauf dieser Zeitspanne ein Therapieversuch unternommen werden kann [2]. Vor allem die mechanische Entfernung eines Gerinnsels durch einen Katheter-Eingriff, die Thrombektomie, ist auch noch später möglich.

Fakt ist aber: Je früher ein Gefäßverschluss wiedereröffnet wird, sei es durch die Thrombolyse oder durch die Thrombektomie, desto höher sind die Chancen auf vollständige Genesung. Je länger es hingegen dauert, bis die Patientin/der Patient medizinisch versorgt wird, desto höher ist das Risiko für Tod oder schwere, bleibende Behinderungen.

Bereits in der frühen Phase der Pandemie zeigten sich Neurologinnen und Neurologen über einen spürbaren Rückgang an Patientinnen und Patienten, die sich wegen Schlaganfallsymptomen in einer Notaufnahme vorstellten, alarmiert und richteten Appelle an die Bevölkerung, Schlaganfallsymptome nicht zu ignorieren. Dass der damalige Eindruck der „leeren“ Stroke-Units nicht täuschte, bestätigte nun die erste bundesweite Erhebung zur Schlaganfallversorgung [1] während der ersten Pandemiephase (16. März bis 15. Mai 2020). In der Studie wurden die Daten aus allen 1.463 Krankenhäusern in Deutschland, die in dieser Zeit Schlaganfallpatienten behandelt haben, mit denen des gleichen Zeitraums im Vorjahr und mit denen des Prä-Pandemie-Zeitraums 16. Januar bis 15. März 2020 verglichen. In der Pandemiephase wurden 31.165 Patientinnen und Patienten mit akuten ischämischen Schlaganfällen aufgenommen, im Vergleich zur Prä-Pandemiephase war das ein Rückgang von 17,4%, im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr von 18,5%. Bei Patientinnen und Patienten mit „Mini-Schlaganfall“ (transitorische ischämische Attacke/TIA, oft Vorbote eines schweren Schlaganfalls, wenn keine Behandlung erfolgt), betrug der Rückgang sogar 22,9%, respektive 26,1%. Im Hinblick auf Patienten mit Hirnblutungen war zwischen der Prä-Pandemiephase und der Pandemiephase ein Rückgang von 15,8% zu verzeichnen.

Dass das nicht ohne Folgen blieb, zeigte der zeitgleiche Anstieg der Krankenhaussterblichkeit von Patienten mit ischämischen und hämorrhagischen Schlaganfällen. Sie war im Beobachtungszeitraum während der Pandemie im Vergleich zum Zeitraum unmittelbar davor signifikant erhöht (bei Hirnblutungen: 8,1% vs. 7,6%, bei Hirninfarkten 34,9% vs. 29,9%). Die Autoren der Auswertung führen die erhöhte Sterblichkeitsrate auf die Tatsache zurück, dass während der Pandemie verhältnismäßig mehr Patienten mit schwereren Symptomen und somit schlechterer Prognose eingeliefert wurden. „Dass die Schlaganfallpatienten später und ‚kranker‘ in die Kliniken kamen, lässt sich auch an der erhöhten Thrombektomierate ablesen. Offensichtlich war bei mehreren das Zeitfenster für die medikamentöse Lysetherapie abgelaufen, so dass nur noch der interventionelle Eingriff als Therapieoption blieb“, erklärt Prof. Dr. Christos Krogias, Korrespondenzautor der vorliegenden Studie [1].

Die Studie zeigte aber auch, dass die Akutversorgung in Deutschland während der Pandemiephase in gleich hoher Qualität stattfand. Die Lyserate betrug 16,4% (so wie im Vorjahr), die Thrombektomierate war 8,1% (vs. 7,7% in der Prä-Pandemiephase).

„Für uns war es von Beginn an wichtig, trotz Pandemiebedingungen die hohe Behandlungsqualität sicherzustellen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat sich aktiv dafür eingesetzt, dass die Stroke Units leistungsfähig blieben [3]. Dieses werden wir auch in der jetzigen zweiten Welle der Pandemie sicherstellen. Allerdings können wir nur helfen, wenn Patienten mit Schlaganfallsymptomen nicht zögern, sondern umgehend die 112 anrufen. Aus Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit Corona davon abzusehen, bezahlen Betroffene womöglich mit ihrem Leben. Wir hoffen, dass dieser Appell in der Öffentlichkeit Gehör findet, damit es in der jetzigen Pandemiephase nicht wieder zu einer erhöhten Schlaganfallsterblichkeit kommt“, appelliert Prof. Peter Berlin, DGN-Generalsekretär.

Literatur

[1] Richter D et al. Analysis of Nationwide Stroke Patient Care in Times of COVID-19 Pandemic in Germany. Stoke. December 24, 2020.
https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/STROKEAHA.120.033160

[2] Thomalla G, Simonsen CZ, Boutitie F, et al. MRI-guided thrombolysis for stroke with unknown time of onset. N Engl J Med 2018; 379: 611-622

[3] „Die Schlaganfallversorgung muss auch während der SARS-CoV-2- Pandemie ohne Qualitätseinbußen gewährleistet sein!“ Pressemeldung der DGN vom 3. April 2020.
https://dgn.org/presse/pressemitteilungen/die-schlaganfallversorgung-muss-auch-waehrend-der-sars-cov-2-pandemie-ohne-qualitaetseinbussen-gewaehrleistet-sein/