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Biotin bei progressiver MS? Leider eher nicht

Original Titel:
Safety and efficacy of MD1003 (high-dose biotin) in patients with progressive multiple sclerosis (SPI2): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial

Kurz & fundiert

  • Theoretisch hilfreich gegen Neurodegeneration – aber auch praktisch bei progressiver MS?
  • Klinische Studie zum Effekt von hochdosiertem Biotin auf Behinderungsgrad und Gehfähigkeit
  • 624 Patienten randomisiert – kein signifikanter Vorteil von Biotin nach 12 Monaten

 

DGP – Hochdosiertes Biotin könnte eventuell, so deuteten frühere Studien an, eine Beitrag zur Besserung bei progressiver Multipler Sklerose (MS) leisten. Dies wurde nun klinisch in einer internationalen Phase 3-Studie mit 642 Patienten untersucht. Die Ergebnisse zeigten leider keinen Behandlungserfolg mit Biotin – stattdessen interferierte es mit Labortests und könnte dadurch gesundheitliche Nachteile nach sich ziehen.


Therapeutische Interventionen gezielt gegen die Neurodegeneration, die der Progression bei Multipler Sklerose (MS) zugrunde liegt, werden dringend gebraucht. In diesem Kontext wurde nun Biotin klinisch geprüft. Hochdosiertes Biotin könnte nämlich, so deuteten frühere Studien an, den Energiehaushalt von Neuronen und Oligodendrozyten verbessern und so zu einer Verbesserung von Zellfunktion, -reparatur oder -überleben beitragen. Ob sich eine solche Behandlung messbar auswirkt, wurde nun in einer klinischen Studie der Phase 3 untersucht.

Theoretisch hilfreich gegen Neurodegeneration – aber auch praktisch bei progressiver MS?

In einer früheren Studie wurden Verbesserungen im Behinderungsgrad über 12 Monate bei Patienten mit progressiver Multipler Sklerose gefunden. Die randomisierte Placebo-kontrollierte Studie nun wurde im Doppelblindverfahren mit einer größeren und repräsentativeren Kohorte in 90 MS-Kliniken in 13 Ländern durchgeführt.

Patienten zwischen 18 und 65 Jahren mit primärer oder sekundärer progressiver MS konnten teilnehmen, wenn sie bestimmter Kriterien erfüllten. Dazu gehörte ein Behinderungsgrad (EDSS, expanded disability status scale) von 3,5–6,5, das Zurücklegen einer definierten Gehstrecke in unter 40 Sekunden (TW25, timed 25-foot walk) und dass sie in den 2 Jahren vor Studienaufnahme keinen Rückfall erlitten hatten. Die Teilnehmer erhielten Biotin in 100 mg Dosierung (MD1003) dreimal täglich oder ein Placebo, diese wurden ergänzend zur jeweiligen Medikation eingenommen. Untersucht wurden schließlich mögliche Verbesserungen in EDSS oder TW25 12 Monate nach Studienbeginn (bestätigt nach 15 Monaten) im Vergleich zum Zeitpunkt vor Behandlungsbeginn.

Klinische Studie zum Effekt von hochdosiertem Biotin auf Behinderungsgrad und Gehfähigkeit

Zwischen Februar 2017 und Juni 2018 wurden 642 Teilnehmer randomisiert. 326 Menschen erhielten Biotin, 316 Menschen bekamen das Placebo. Die Doppelblind-Phase der Studie endete mit dem Ablauf der 15 Monate für die letzten in die Studie aufgenommenen Patienten (November 2019). Die durchschnittliche Zeit in der Placebo-kontrollierten Phase betrug 20,1 Monate (zwischen 15 und 27 Monate). 39 (12 %) von 326 Patienten in der Biotin-Gruppe verbesserten sich mit Blick auf EDSS/TW25 nach 12 Monaten, im Vergleich zu 29 (9 %) von 316 Menschen in der Placebo-Gruppe (Odds Ratio OR 1,35; 95 % Konfidenzintervall 0,81–2,26). Adverse Ereignisse, die im Rahmen der Behandlung auftraten, wurden bei 277 (84 %) von 331 Teilnehmern in der Biotin-Gruppe und bei 264 (85 %) von 311 Teilnehmern in der Placebo-Gruppe berichtet. 87 (26 %) von 331 Patienten unter Biotin und 82 (26 %) von 311 Patienten mit Placebo hatten zumindest ein ernstes adverses Ereignis. In der Biotingruppe verstarb ein Patient. Messbar unterschiedlich war vor allem ein Effekt der Biotin-Behandlung auf Laborwerte: Es traten nämlich inakkurate Testergebnisse mit Bezug auf bestimmte Antikörper auf (biotinylierte Antikörper).

624 Patienten randomisiert – kein signifikanter Vorteil von Biotin nach 12 Monaten

Die Studie zeigte somit, dass Biotin keine signifikante Verbesserung des Behinderungsgrads oder der Gehfähigkeit bei Patienten mit progressiver MS brachte. Zusätzlich zum möglicherweise nachteiligen gesundheitlichen Effekten durch Beeinflussung von Labortestergebnissen kann Biotin demnach nicht zur Behandlung progressiver Multipler Sklerose empfohlen werden, schreiben die Autoren.

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