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Revolution in der Krebsmedizin – Schwachstellen des Tumors im Blut erkennen

Reicht möglicherweise künftig eine einfache Blutprobe aus, um Krebserkankungen frühzeitig zu erkennen, im Verlauf beobachten zu können und eine individuelle Therapie zu finden? Und können damit den Patienten Gewebebiopsien und Apparatemedizin erspart werden? Diesen Fragen gehen Mediziner am Universitätsklinikum Gießen und Marburg bei der Behandlung von Patienten mit Lymphdrüsenkrebs in einer Studie nach. Erste Ergebnisse sind vielversprechend.

„Wenn das Wahrheit wird, ist es eine echte Revolution“, sagt Prof. Mathias Rummel, Leiter des Schwerpunkts Hämatologie am UKGM in Gießen. Dieser Revolution ist er gemeinsam mit dem Kinderonkologen und -hämatologen Prof. Dieter Körholz sowie den Experten aus der Pathologie und Molekularpathologie. Prof. Stefan Gattenlöhner und Prof. Andreas Bräuninger auf der Spur.

Um was geht es?
Es geht um die Frage, ob eine einfache Blutprobe künftig aufwändige Gewebeentnahmen (Biopsien) und Apparatemedizin ersetzen kann und dabei auch noch mehr, schnellere und aussagekräftigere Ergebnisse liefert.

Um wen geht es?
Im Mittelpunkt stehen Patienten (Erwachsene und Kinder) mit bösartigen Lymphomen (Lymphdrüsenkrebs). Wenn der Verdacht auf eine solche Erkrankung besteht, wird den Patienten bislang unter Narkose ein Lymphknoten entnommen und in der Pathologie auf das Vorhandensein von Krebszellen untersucht. Eine Computertomografie (CT) zeigt zudem, wo sich der Tumor befindet. Weitere CT-Untersuchungen müssen dann auch in der Nachsorge durchgeführt werden, wenn die Lymphomerkrankung mit einer Therapie erfolgreich behandelt werden konnte. Zumeist erfolgt das jedes halbe Jahr, um zu sehen, ob der Krebs noch da oder zurückgekommen ist. Prof. Rummel: „Bei einem Verdacht auf einen Rückfall muss man erneut das Gewebe mit einer Biopsie untersuchen. Wenn die Pathologen dann feststellen, dass doch kein Krebs da ist, ist das eine gute Nachricht für den Patienten. Am besten wäre es aber natürlich, wenn dafür nur eine Blutprobe nötig wäre und keine erneute operative Lymphknoten- oder Gewebeentnahme.“

Wie wird untersucht?
Bei der Suche nach bösartigen Zellen im Gewebe von Patienten wenden die Gießener Pathologen schon länger eines der modernsten Verfahren an, nämlich das Next Generation Sequencing (NGS). Damit können sie viel mehr, als nur die Krebszelle entdecken. Es erlaubt einen direkten Blick in das Erbgut, die DNA der bösartigen Zelle. Man bekommt sozusagen einen genetischen Fingerabdruck. Und dieser Blick in die Tiefe verrät, warum aus einer zuvor ganz normalen Zelle eine bösartige geworden ist. Wie hat sich das Erbgut der Zelle verändert? Solche Veränderungen bezeichnet man als Mutationen. Es sind etwa 100 solcher Mutationen bei den 20 verschiedenen Arten von Lymphdrüsenkrebs bekannt. „Je genauer man weiß, wie die Krebszelle funktioniert und wo ihre Schwachstelle ist, desto gezielter kann man sie mit einer maßgeschneiderten Therapie attackieren“, sagt Prof. Stefan Gattenlöhner, Direktor des Instituts für Pathologie in Gießen.“ Allein das Wissen um die Art der Veränderung kann also einen entscheidenden Hinweis darauf geben, welche Therapie dem Patienten am besten hilft.

„Tumorschnipsel“ im Blut
Mehr sehen und mehr erkennen, die neuen Untersuchungsmethoden in der Molekularpathologie haben es nun auch möglich gemacht, die Reste abgestorbener Tumorzellen im Blut aufzuspüren und heraus zu filtern. Mit dem NGS kann man sie dann genauso unter die Lupe nehmen, wie die aus einer Gewebebiopsie. Das Blut ermöglicht also eine Flüssigbiopsie (engl. Liquid biopsy). Doch wie zuverlässig sind die Ergebnisse? Diese Frage stellen sich Wissenschaftler derzeit auch weltweit in einigen ausgewählten Zentren. Mit ihrer Untersuchung dieses revolutionären Verfahrens bei Lymphompatienten haben die Gießener Mediziner schon jetzt große internationale Beachtung erfahren.

Wie funktioniert die Studie?
Ob man im Verlauf einer Krebserkrankung alleine durch die Blutprobe (Liquid Biopsy) die entscheidenden Informationen bekommt, um dem Patienten bestmöglich zu helfen, das untersuchen die Gießener seit März 2017. Fast 240 Erwachsene und rund 100 Kinder mit Lymphdrüsenkrebs wurden bislang in diese Studie aufgenommen. Begleitend zu der üblichen Behandlung mit Gewebebiopsie und Computertomografie, wird den Patienten über den gesamten Behandlungszeitraum und auch in der Nachsorge alle zwei Monate Blut abgenommen. 10 Milliliter reichen aus, um Tumorreste nachweisen zu können. Voraussetzung ist, dass vor Beginn der Therapie die Ergebnisse aus der Untersuchung der Gewebeprobe und des Blutes übereinstimmen. „Für die Untersuchung der Proben haben wir zusammen ein ganz eigenes Raster entwickelt, so dass auch kleinste Veränderungen erkannt und dokumentiert werden können. Das macht hier unsere Stärke aus“, sagt Prof. Rummel.

Vielversprechende Ergebnisse
„Vor Beginn der Behandlung konnten wir bislang in 80 Prozent der Fälle die genetischen Veränderungen der Krebszelle auch im Blut nachweisen“, erklärt Prof. Stefan Gattenlöhner. „Das sind hervorragende Ergebnisse.“ Doch auch im Verlauf und in der Nachsorge ist die Flüssigbiopsie bisher nicht nur gleichauf mit der Gewebeentnahme und Computertomografie (CT), sondern sogar deutlich überlegen. Prof. Rummel: „Wir sehen im Blut tatsächlich früher und zuverlässiger, ob nach der Therapie noch alte Krebszellen da sind, ob sich neue entwickelt haben und in welcher Form, oder ob der Patienten tumorfrei ist. Das heißt auch, ich kann, wenn nötig, viel schneller reagieren und mit einer geeigneten Therapie beginnen. Genau das ist die Revolution der Liquid Biopsy: Alle relevanten Fragen lassen sich mit nur einer Blutprobe beantworten.“ Bei der herkömmlichen Nachsorge wird der Patient alles halbe Jahr im CT untersucht. Das zeigt jedoch nur an, ob überhaupt wieder etwas da ist. Wenn ja, müsste erneut eine Gewebeprobe entnommen werden, um zu wissen, welche Mutation nun vorliegt und welche Therapie dafür geeignet ist.

Riesige Datenmengen und viele Erkenntnisse
Rund 1000 Flüssigbiopsien haben die Pathologen im Rahmen der Studie bereits untersucht. Dabei entstehen Datenmengen, die neben den zentralen Frage, auch andere wichtige Ergebnisse liefern. „Zum Beispiel konnten wir sehen, dass es auch bestimmte Mutationen gibt, die so aggressiv sind, dass eine Chemotherapie den Patienten gar nichts bringt. Um ihnen diese unnötige Belastung einer dann eigentlichen wirkungslosen Chemotherapie zu ersparen, haben wir in solchen Fällen gleich auf eine studienbasierte experimentelle Therapie umgestellt.“ Eine weitere Beobachtung hat auch gezeigt, dass es ebenso spezielle Lymphome gibt, die sich tatsächlich im Blut nicht nachweisen lassen. Auch das ist ein wichtiges Ergebnis.

Wie geht es weiter?
Bis alle Daten sortiert und ausgewertet sind, wird es sicher noch ungefähr ein Jahr dauern, schätzt Prof. Rummel: „Wir haben bislang rund 240 erwachsene Patienten erfasst und beobachtet, damit haben wir eine enorm große Patientenzahl und Datenmenge generiert. Die bisherigen Ergebnisse motivieren uns aber ungemein. Unsere Vision ist es, Lymphompatienten in der Zukunft nur über die Blutprobe zuverlässig diagnostizieren und im Verlauf begleiten zu können und auch in der Nachbehandlung auf CT-Bilder verzichten zu können.“ Diese Euphorie teilen auch die Pathologen, Prof. Gattenlöhner: „Aufgrund der bisherigen Ergebnisse würde ich tatsächlich der Liquid Biopsy vertrauen, wenn ich die Erkrankung hätte. Ich wünsche mir, dass sich die Entwicklung der letzten Jahre fortsetzt und wir ein Teil dieser spannenden Geschichte bleiben.“ Prof. Andreas Bräuninger ergänzt: „Meine Hoffnung ist, dass sich dieses Verfahren zukünftig auch bei anderen Krebserkrankungen anwenden lässt und für die Patienten schnellere und zuverlässigere Ergebnisse und damit auch verbesserte Therapien möglich macht.“

Weitere Informationen:
http://www.stil-info.de
https://www.youtube.com/watch?v=QfqanX27bKg