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Sinnvolle Gabe von Antibiotika bei Langzeitbeatmung

Seit Jahrzehnten diskutieren Intensivmediziner:innen, ob es angeraten ist, beatmete Patient:innen in Mund, Nase und Rachen mit Antibiotika zu behandeln, um bakterielle Infektionen zu vermeiden. Die meisten Kliniken in Deutschland nutzen diese Maßnahme nicht. Ihr Argument: Die Gabe der Antibiotika könnte die Bakterien vor allem bei einer Langzeitbehandlung unempfindlich gegen die Medikamente werden lassen. Und die sogenannte antimikrobielle Resistenz (AMR) ist mittlerweile eines der größten Probleme der modernen Medizin. Nun zeigen Mediziner:innen des LMU Klinikums München in einer neuen Studie: Die Sorge ist unbegründet. „Die antimikrobielle Resistenzlage verändert sich nicht durch diese Maßnahme, während die beatmeten Patient:innen profitieren“, erklärt Prof. Dr. Josef Briegel vom LMU Klinikum: „Mit der Präventionsmaßnahme entwickeln beatmete Patienten weniger häufig Lungenentzündungen und sterben weniger häufig im Krankenhaus.“

Auch am LMU Klinikum wird die vorbeugende Maßnahme (kurz SOD genannt) nur in einigen Intensivstationen genutzt, dort aber seit drei Jahrzehnten. In Mund, Nase und Rachen wird dabei eine Lösung mit Antibiotika aufgetragen. Entwickelt wurde die neue Studie innerhalb der interdisziplinären Arbeitsgruppe iKUM (Infektiologie am Klinikum der Universität, Leitung Prof. Dr. Rika Draenert). Die Forschenden haben mit den Daten von über 5.000 länger beatmeten Intensivpatient:innen des LMU Klinikums über eine Zeit von fünf Jahren eine sogenannte Fallkontrollstudie gemacht. Dazu wurden über 147.000 mikrobiologische Befunde des Max-von Pettenkofer-Institutes verarbeitet und die Häufigkeiten der Resistenzen zwischen Intensivpatient:innen mit und ohne SOD am LMU Klinikum verglichen. „Für die meisten der untersuchten Erreger fanden wir keinen Unterschied in beiden Gruppen, also keinen Hinweis auf eine vermehrte Resistenzbildung“, sagt Briegel.

Für zwei Erreger ergaben sich aber Unterschiede, wobei der Lungenentzündungs-Erreger „Klebsiella pneumoniae“ seltener und das Darmbakterium „Vancomycin-resistenter Enterococcus faecium“ häufiger unter der Präventionsmaßnahme auftrat. Das Darmbakterium ist jedoch für die meisten Intensivpatienten ungefährlich. Als die Forschenden Patient:innen mit gleicher Krankheitsschwere verglichen, zeigte sich: Patient:innen mit SOD hatten weniger Lungenentzündungen und verstarben seltener als Patient:innen ohne SOD.

Der Fokus der Studie lag auf Erkrankten, die länger als 48 Stunden beatmet wurden. In diese Kategorie fallen Briegel zufolge etwa 40 Prozent der beatmeten Patient:innen auf Intensivstationen in Deutschland – also etwa 7.000 bis 7.200 täglich. Von diesen sehr schwer Erkrankten werden nicht einmal ein Viertel mit einer SOD-Prophylaxe behandelt, obwohl eine Senkung der Rate von beatmungsassoziierten Lungenentzündungen und ein besseres Überleben möglich wäre. „Das wurde schon viele Male in evidenzbasierten Studien gezeigt“, sagt der Münchner Intensivmediziner: „Unsere Studie entkräftet das viel gebrauchte Argument, dass man durch SOD zur vermehrten Resistenzbildung auf Intensivstationen beiträgt. Dies ist eine Annahme, die durch die Realität nicht bestätigt werden kann.“

Die verwendete Antibiotika-Lösung stellt die Klinikumsapotheke kostengünstig her. Zudem hat die Intensivpflege des LMU Klinikums einen Standard (SOP) entwickelt, so dass die Präventionsmaßnahme klinikumsweit, wo ärztlich angeordnet, einheitlich umgesetzt wird. Josef Briegel: „Es wäre jetzt an der Zeit, evidenzbasierte Medizin auch umzusetzen, und nicht sinnvolle Maßnahmen in der Intensivmedizin zu verhindern aufgrund von reinen Annahmen.“

Publikation:

Intensive Care Med (2022) 48:1165–1175
https://link.springer.com/article/10.1007/s00134-022-06826-7
doi.org/10.1007/s00134-022-06826-7