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Multiple Sklerose

Tiefenhirnstimulation kann eine sichere und gut wirksame Option zur Behandlung schweren Multiple Sklerose-Tremors sein

Original Titel:
Safety and efficacy of dual-lead thalamic deep brain stimulation for patients with treatment-refractory multiple sclerosis tremor: a single-centre, randomised, single-blind, pilot trial.

Bei Tremor, dem Muskelzittern zum Beispiel der Hände bei unterschiedlichen fokussierten Handlungen, denkt man normalerweise an eine Parkinsonerkrankung. Jedoch auch bei Multipler Sklerose (MS) ist dieses weitverbreitete Symptom eines der größten Probleme für das unabhängige, alltägliche Leben. Je nach Studie wird geschätzt, dass ein Viertel bis 60 % der MS-Patienten davon betroffen ist. Wie auch bei Parkinson ist das Zittern schwer in den Griff zu bekommen. Manche Medikamente scheinen die Symptome etwas zu lindern, andere wiederum erreichen nichts.  Bei Parkinsonpatienten wird inzwischen immer häufiger eine andere Methode angewendet: die Tiefenhirnstimulation. Nach jahrelanger guter Erfahrung mit dem Platzieren von stimulierenden Elektroden im Gehirn der Patienten und der folgenden Feinabstimmung der elektrischen Stimulation zur Optimierung des Behandlungserfolgs wird dieser Ansatz auch vermehrt bei anderen Erkrankungen erprobt. Dr. Oliveria und Kollegen der Bewegungsstörungs- und Nervenrückbildungsklinik der Universität von Florida (Gainesville, USA) untersuchten nun in einer Pilotstudie die Wirksamkeit und Sicherheit der Tiefenhirnstimulation bei MS-Patienten mit behandlungsresistentem Tremor.

Bei der Tiefenhirnstimulation wird ein langer dünner Draht (Elektrode) in das Gehirn eingeführt. Das Gehirn selbst hat keine Schmerzsensoren, dieses Prozedur ist also schmerzfrei. Ein Kabel zur Elektrode wird außerhalb am Schädel entlang unter der Haut zu einem Steuergerät geführt. An der Spitze des Drahtes befinden sich eine oder übereinander angeordnet mehrere elektrische Kontaktstellen, durch die kleine Ströme in das umliegende Gehirngewebe fließen können. Die Stärke und Häufigkeit dieser Ströme wird an dem Steuergerät durch den Arzt optimiert. In dieser Studie wurde die neuere Methode der Stimulation mit zwei Kontaktstellen angewendet (dual-lead thalamic DBS), mit Kontakt zu zwei kleinen Verarbeitungszentren, VIM (Nucleus ventralis intermedius) und VO (Nucleus ventrooralis) im Tiefenhirn. VIM und VO sind aus der Tremorbehandlung bei Parkinson gut bekannt.

Erwachsene Patienten mit der klinischen Diagnose eines bisher behandlungsresistenten Multiple Sklerose Tremors wurden rekrutiert. Einen Monat nach der Erstuntersuchung fand die Operation zur Elektrodenplatzierung statt. Dazu wurde den Patienten zufällig entweder die Stimulierung von VIM oder von VO zugeordnet. Das heißt, bei der Doppelkontaktelektrode wurde nur eine Kontaktstelle für den Stromfluss aktiviert. Diese Elektroden blieben für 3 Monate implantiert. Patienten und behandelnde Ärzte wussten nicht, welche Kontaktstelle jeweils aktiviert worden war. Etwa einen Monat später erfolgte eine weitere Operation um das Stromkontrollgerät (Pulsgenerator) und Verlängerungskabel vom Schädeldach zum Kontrollgerät zu implantieren. Anschließend erhielten die Patienten über 3 Monate hinweg eine kontinuierliche Stimulation von entweder VIM oder VO. Am Ende dieser Stimulationszeit erfolgte gleichzeitig zu einer Stimulation eine Testreihe zur Überprüfung des individuellen Zitterns (Tolosa-Fahn-Marin Tremor Rating Scale, TRS).

Danach wurden beide Kontaktstellen für weitere 3 Monate aktiviert. In mehreren Arztbesuchen wurden die Stimulationsmuster (Dauer und Stärker der Stromstöße) mittels eines vordefinierten Programms optimiert. Nach 6 Monaten wurde schließlich erneut der TRS-Wert gemessen, um die Stärke des Zitterns zu beurteilen. Zusätzlich wurden psychologische Tests und Stimmungstests unter 4 Bedingungen durchgeführt: bei Stimulation von jeweils nur VIM oder VO, von beiden zusammen, oder ohne Stimulation. Die Tests wurden an 4 aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt nachdem jeweils 12 Stunden lang stimuliert worden war. Wirkziel der Studie war eine Veränderung des Schweregrads des Zitterns, also dem TRS-Wert, zum Ende der Studie im Vergleich zum Zittern zu Studienbeginn.

Zwischen dem 16. Januar 2007 und dem 17. Dezember 2013 wurden 12 Patienten in die Studie eingeschlossen und zufällig der anfänglichen VIM- oder VO-Stimulation zugewiesen. Ein Patient der VO Gruppe entwickelte eine Infektion, aufgrund derer die Elektrode entfernt werden musste. Bei den übrigen 11 Patienten betrug der anfängliche TRS-Wert 57,0. Dieser Wert sank nach 6 Monaten Stimulation auf 40,1, entsprechend einer Reduktion von −29,6 %. 3 der 11 Patienten sprachen nicht auf die Behandlung an, ihr Zittern wurde also nicht geringer. Ein Patient verstarb plötzlich 2 Jahre nach der Operation, allerdings wurde dieser Tod nicht der Elektrodenimplantierung zugeschrieben. Eine ernsthafte Nebenwirkung war eine oberflächliche Wundinfektion bei einem Patienten, die erfolgreich mit Antibiotika behandelt wurde. Ein weiterer Patient zeigte eine vorübergehende Veränderung seines Geisteszustands, und ein dritter Patient erlitt eine Verschlimmerung der Symptome der Multiplen Sklerose. Die häufigsten nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen und Erschöpfung.

Diese Pilotstudie demonstrierte damit, dass Tiefenhirnstimulation eine mögliche sichere und wirksame Option zur Behandlung schweren Tremors bei Multipler Sklerose sein kann, zumindest in den Fällen, die nicht auf Medikamente ansprechen. In größeren Studien muss die langfristige Sicherheit der Technik und ihre Wirksamkeit überprüft werden, um die Behandlungsmöglichkeiten für Tremor zu erweitern.

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