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Chronische Migräne und Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch (MÜK) – wie unterscheiden sich häufiger von MÜK Betroffene von weniger häufig Betroffenen?

Original Titel:
A Qualitative Study On Patients With Chronic Migraine With Medication Overuse Headache: Comparing Frequent And Non-Frequent Relapsers.

DGP – Ärzten und Betroffenen kann mit dieser kleinen Befragungs-Studie ein Muster deutlich werden: Patienten mit chronischer Migräne und häufig wiederkehrendem Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch (MÜK) können stärker resignieren, häufiger unter depressiven Symptomen leiden und entsprechend stärker be- und überlastet sein. Der Unterschied zwischen häufigem MÜK und seltenem MÜK liegt damit vielleicht vor allem in einem zusätzlichen Behandlungsbedarf für die psychischen Symptome der chronischen Migräne.


Wer unter chronischer Migräne leidet, vollführt mit der Einnahme von Schmerzmitteln häufig eine komplizierte Gratwanderung: einerseits sollen die Schmerzen jeder akuten Attacke gelindert werden, andererseits führt eine zu häufige Einnahme von Akutmedikamenten zum Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, dem sogenannten MÜK. Ist dieser Zustand erreicht, wirken die Akutmittel nicht mehr oder immer weniger, der Kopfschmerz bleibt und wird durch die Schmerzmittel noch angefacht. Bei einem Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch hilft nur noch eines: der Entzug, also ein strukturiertes Absetzen der Schmerzmittel, durch den wieder ein Grundzustand erreicht wird, in dem Schmerzmittel auch wieder wirksam gegen akute Migräneattacken helfen können. Die 10-20-Regel soll Patienten helfen, den MÜK zu vermeiden: an höchstens 10 von 30 Tagen sollen Kopfschmerzmittel eingenommen werden.

Medikamentenübergebrauchskopfschmerz MÜK: Wenn die 10-20-Regel nicht reicht und Schmerzmittel zu mehr Schmerzen führen

Auf die Migräne spezialisierten Fachärzten ist es bekannt und in Migräneforen aktiven Patienten vermutlich auch: manche Patienten mit chronischer Migräne und MÜK leiden auch nach einem strukturierten Medikamentenentzug häufiger wieder unter dem MÜK als andere Betroffene. Wodurch unterscheiden sich aber solche Patienten, die häufiger wieder unter dem MÜK leiden, von den anderen, die schließlich ebenfalls von chronischer Migräne betroffen sind? Beide Patientengruppen sind häufig am Zweifeln: Schmerzen stoppen und den MÜK riskieren, oder Schmerzen erdulden und dafür die Wirksamkeit der Akutmedikamente bei einer zukünftigen Attacke ermöglichen?

Manche Patienten mit chronischer Migräne benötigen öfter Hilfe wegen MÜK als andere

Italienische Neurologen rund um Dr. Scaratti von dem mailändischen Neurologieinstitut der ‚C. Besta‘-IRCCS-Foundation untersuchten nun mit Hilfe individueller Befragungen, wie sich Patienten mit häufigeren MÜK-Episoden von den übrigen Patienten mit chronischer Migräne unterschieden. Im Zentrum standen hierbei die Blickpunkte der Betroffenen, ihre Wahrnehmungen und Perspektiven auf die persönlichen Erfahrungen mit chronischer Migräne und Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch.

Befragung von Betroffenen zu Wahrnehmungen und Erfahrungen

Patienten wurden in die Studie und zum Interview eingeladen, wenn sich die Gelegenheit ergab – also dann, wenn sie als MÜK-Betroffene zum strukturierten Schmerzmittelentzug in Behandlung kamen. Als häufig von MÜK betroffen wurden die Patienten gezählt, die innerhalb von 3 Jahren zweimal oder häufiger betreuten Schmerzmittelentzug benötigten. Die Befragungen folgten einem offenen Muster, das freies Erzählen ermöglichen sollte. Die Ergebnisse wurden anschließend in Themen gruppiert, die häufiger bei Patienten mit wiederholtem MÜK oder häufiger bei den Patienten mit seltenerem MÜK auftauchten, oder aber beiden Gruppen gemeinsam schienen.

Kleine Studie mit 16 Betroffenen über 3 Jahre

Die Forscher befragten 16 Patienten, von denen 13 Frauen waren. Das durchschnittliche Alter lag bei 53 Jahren. Von diesen Patienten waren 7 häufiger von MÜK betroffen und benötigten entsprechend häufiger Unterstützung beim Schmerzmittelentzug. Aus den Befragungen mit 522 einzelnen Aussagen kristallisierten sich 22 Themen heraus. Die 10 wichtigsten Themen waren dabei in 82 % der einzelnen Aussagen wieder zu finden. Nur vier Themen waren dabei beiden Patientengruppen, mit häufiger wiederkehrendem MÜK und mit nur einmaligem MÜK in den drei Jahren, gemeinsam. Dazu gehörten Aspekte wie das Dilemma zwischen Verheimlichung des Schmerzmittelübergebrauchs und die empfundene Isolation mit dem Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch. Gleichzeitig kamen auch häufig die Themen Medikamentenabhängigkeit und Ängste zur Sprache. Auch gemeinsam war allen Betroffenen die Suche nach alternativen, nicht-pharmakologischen Hilfen für ihre Erkrankung, die bei chronischen Erkrankungen wenig verwunderlich und gerade bei einem notwendigen Verzicht auf Akutmedikamente noch einleuchtender ist.

Alle Betroffene haben Ängste, fühlen sich isoliert mit dem MÜK und suchen Abhilfe ohne Medikamente

6 Themen waren dagegen in jeder der beiden Patientengruppen sehr speziell besetzt. Dazu gehörte beispielsweise die Frage nach der Ursache: Patienten mit häufigeren Rückfällen in den Medikamentenübergebrauch und MÜK empfanden das Auftreten von Kopfschmerzen als etwas, was sie nicht kontrollieren konnten – die Auslöser waren unbekannt oder außer Reichweite. Diese Patienten waren typischerweise eher hoffnungslos und resigniert zum Zeitpunkt des Medikamentenentzugs. Gleichzeitig empfanden sie, dass sie gezwungen waren, Höchstleistungen zu bringen, um die Minderleistungen anderer zu kompensieren. Als Problemlösung dagegen wurde häufig passives Akzeptieren thematisiert. Betroffene mit häufigeren Rückfällen beschrieben auch mehr vermeidendes Verhalten, gingen also Problemen insgesamt stärker aus dem Weg. Diese Punkte schienen ihnen allerdings nicht unbedingt bewusst zu sein – im Vergleich zu den anderen Patienten mit chronischer Migräne waren die vermeidenden und resignierten Denkmuster demnach seltener klar bekannt, dafür beschrieben Patienten mit häufigerem MÜK allerdings öfter depressive Symptome.

Behandlungsbedarf bei häufig von MÜK Betroffenen: oft stärker resigniert und mit depressiven Symptomen

Betroffene werden nun die Bedeutung dieser Ergebnisse eventuell anders verstehen als beispielsweise Ärzte – behandelnde Fachärzte könnten eventuell ein psychisches Grundmuster vermuten, das zu mehr Stress im Alltag, ob zuhause oder im Arbeitsleben, führt, eine empfundene Ausweglosigkeit vorgibt und so vielleicht auch die Hilfe zur Selbsthilfe erschwert. Patienten mit häufiger Migräne dagegen kennen sich selbst vielleicht noch aus einer Zeit vor der chronischen Migräne – in der sie eventuell optimistischer in die Zukunft blickten, entspannter mit Stress und Schmerz umgehen konnten und mehr freie Ressourcen für Problemlösungen hatten.

Ärzten und Betroffenen gleichermaßen kann aber mit dieser kleinen Studie ein Muster deutlich werden: Patienten mit chronischer Migräne und häufiger wiederkehrendem Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch können stärker resignieren, häufiger unter depressiven Symptomen leiden und entsprechend stärker be- und überlastet sein. Der Unterschied zwischen häufigem MÜK und seltenem MÜK liegt damit vielleicht vor allem in einem zusätzlichen Behandlungsbedarf für die psychischen Symptome der chronischen Migräne. Zu hoffen ist, dass wenn dieser Bedarf früher erkannt wird, auch die Wiederkehrrate des MÜK gesenkt werden kann.

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