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Nicht alle Diabetespatienten „über einen Kamm scheren“! – Maßgeschneiderte Vorsorge und Therapie kann Diabetesversorgung revolutionieren

Nicht jeder Diabetes mellitus Typ 2 ist in Ursache, Erscheinung und Ausprägung identisch. Bisher fehlten jedoch eine sinnvolle Klassifizierung und eine darauf angepasste Behandlung. In Klinik und Praxis führt das bisweilen zu einer Über- und Unterversorgung der Betroffenen. Forscher haben die Stoffwechselerkrankung nun in Subtypen unterteilt, was eine präzisere, individuelle Therapie und Prävention ermöglicht. Wie diese Ergebnisse in den Praxisalltag gelangen können und wo noch Forschungslücken zu schließen sind, berichten Expertinnen und Experten auf der Jahrespressekonferenz der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) am 11. März 2020 in Berlin. Sie zeigen auch auf, welche Patientinnen und Patienten ein erhöhtes Risiko für Begleiterkrankungen wie Fettleber und diabetische Nephro- und Neuropathie aufweisen und wie diabetesbedingte Komplikationen durch Präzisionsmedizin verzögert oder sogar verhindert werden können. Im Fokus der Veranstaltung stehen außerdem Erfahrungen aus 20 Jahren Disease-Management-Programm (DMP) und die Frage, ob die hausärztliche Versorgung einer drohenden Diabetes-Epidemie gewachsen ist.

Beim Diabetes nicht nur bis Zwei zählen – so könnte ein neues Motto in der diabetologischen Versorgung lauten. Denn sowohl eine schwedische als auch deutsche Untersuchung zeigten, dass eine Unterteilung des Typ 2­-Diabetes in fünf Subtypen* sinnvoll ist. „Diese Erkenntnisse können die Diabetesbehandlung deutlich verbessern“, erklärt Professor Dr. med. Andreas Fritsche, einer der Sprecher der Kommission „Epidemiologie und Versorgungsforschung“ der DDG. Denn jenseits der Differenzierung in Diabetes Typ 1 und 2 gebe es in der Regelversorgung derzeit noch keine Unterscheidung. „Wir müssen davon ausgehen, dass mit dem bisherigen Kenntnisstand nicht wenige Patientinnen und Patienten mit Diabetes unter- bzw. übertherapiert werden.“ Dies könne sich nun ändern.

Die Ergebnisse der schwedischen Cluster-Analyse1 konnten in der Deutschen Diabetes-Studie2 bestätigt werden. In beiden Fällen untersuchten die Autorinnen und Autoren Typ 2-Patienten in Bezug auf ihren Krankheitsverlauf und ihre Risiken für diabetesbedingte Komplikationen und Begleiterkrankungen. Auffallend war, dass sich insbesondere hinsichtlich der diabetischen Nephropathie, der nichtalkoholischen Fettleber (NAFLD) und der diabetischen Neuropathie unterschiedliche Risiken bei den Patienten abbildeten: „Betroffene mit dem Subtyp SIDD, die an einem ausgeprägten Insulinmangel leiden, entwickeln beispielsweise besonders häu?g eine Retinopathie und Polyneuropathie. Sie brauchen als Erstlinientherapie wahrscheinlich Insulin und sind damit ganz anders zu behandeln als insulinresistente SIRD-Patienten“, führt Fritsche aus. Bislang werden die Betroffenen jedoch routinemäßig zunächst mit oralen Antidiabetika versorgt. Die andere Hochrisikogruppe SIRD hingegen hat ein erhöhtes Risiko für eine Nephropathie und NAFLD.

Aus diesen unterschiedlichen Risiken ergeben sich auch neue Therapieansätze mit entsprechenden präventiven Maßnahmen. „Weiß man, welchem Subtyp ein Patient angehört, sollte man ihn deutlich effektiver therapieren können und damit Folgeerkrankungen vermeiden“, bilanziert Fritsche. „Dazu ist wahrscheinlich eine routinemäßige Bestimmung der endogenen Insulinsekretion ausreichend, wofür man nur eine Blutabnahme im Nüchtern-Zustand benötigt“, erklärt Fritsche, Stellvertretender Leiter des Instituts für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz-Zentrums München an der Universität Tübingen. Auch Patienten mit einem risikoärmeren, altersbedingten Diabetes wie dem MARD könnten von diesen Erkenntnissen profitieren. „Die Studien zeigen, dass etwa ein Drittel der Diabetespatienten von diesem Typ betroffen sind “, so Fritsche. Diese Gruppe kann möglicherweise weniger aggressiv behandelt werden, die Erkrankung darf aber trotzdem keinesfalls bagatellisiert werden.

„Bevor die Subtypen in die Diabetesversorgung aufgenommen werden, braucht es noch prospektive Studien, die differenzierte Therapiestrategien bei den unterschiedlichen Subgruppen prüfen“, fordert Professor Dr. med. Wolfgang Rathmann vom Deutschen Diabetes Zentrum in Düsseldorf, ebenfalls Sprecher der Kommission „Epidemiologie und Versorgungsforschung“. In einem kürzlich veröffentlichten Positionspapier hat ebendiese Kommission Forschungslücken bei der Subtypisierung dargestellt, die es nun zu schließen gilt.3

Welche Patienten von besonders schwerwiegenden Folgeerkrankungen betroffen oder eher überversorgt und eventuell auf weniger Medikation und Therapiemanagement angewiesen sind, erklärt Fritsche auf der Jahrespressekonferenz der DDG am 11. März 2020 in Berlin. Dort ziehen Experten darüber hinaus Bilanz aus 20 Jahren DMP (Disease-Management-Programm) und identifizieren dessen Schwachstellen und Erfolge. Auch die hausärztliche Versorgung wird auf den Prüfstand gestellt, und es wird diskutiert, wie sich bei weiterhin steigenden Erkrankungszahlen eine gute Diabetesversorgung in Deutschland in Zukunft sichern lässt.

*Die fünf Diabetestypen in der Übersicht:

  • SAID (severe autoimmune diabetes): früher Krankheitsbeginn, niedriger BMI, Insulinmangel, GADA-positiv, schwierige metabolische Einstellung
  • SIDD (severe insulin-defcient diabetes): GADA-negativ, sonst wie Gruppe 1
  • SIRD (severe insulin-resistant diabetes): ausgeprägte Insulinresistenz, hoher BMI
  • MOD (mild obesity-related diabetes): Adipositas ohne ausgeprägte Insulinresistenz
  • MARD (mild age-related diabetes): höheres Alter, leichte Stoffwechselstörung

Das PDF der Pressemitteilung finden Sie hier.

Literatur:
1Ahlqvist E et al., Novel subgroups of adult-onset diabetes and their association with outcomes: a data-driven cluster analysis of six variables. Lancet Diabetes Endocrinol. 2018 May;6(5):361-369. doi: 10.1016/S2213-8587(18)30051-2. Epub 2018 Mar 5.

2Zaharia OP et al.: Risk of diabetes-associated diseases in subgroups of patients with recent-onset diabetes: a 5-year follow-up study. The Lancet Diabetes & Endocrinology.

3Differenzierung von Subgruppen in der Diabetologie – Positionspapier der Kommission Epidemiologie und Versorgungsforschung der DDG