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Übergewicht allein führt nicht zur Dialyse

Langzeitstudie zu Übergewicht und Nierenversagen mit 100.000 TeilnehmerInnen – Übergewicht und Adipositas bringen sehr oft Bluthochdruck, erhöhte Zucker-, Blutfett- und Harnsäurewerte mit sich. Betroffene haben langfristig ein erhebliches Risiko, ein Nierenversagen zu erleiden. Ein Team um Josef Fritz von der Med Uni Innsbruck und Emanuel Zitt vom Akademischen Lehrkrankenhaus Feldkirch errechnete die Bedeutung der einzelnen Faktoren. Das Journal of the American Society of Nephrology (JASN) berichtet.

Innsbruck, am 4.Mai.2022: Was die Waage anzeigt, ist nicht entscheidend, wenn es darum geht, die langfristige Gefahr für ein irreparables Nierenversagen mit Dialysepflicht einzuschätzen. Relevant ist, was die Messungen von TyG-Index* – ein neuer Parameter für Insulinresistenz –, Harnsäure und Blutdruck ergeben. Zu diesem Schluss sind Wissenschafter um Josef Fritz vom Institut für Medizinische Statistik und Informatik (Direktor: Hanno Ulmer) an der Medizinischen Universität Innsbruck und um den Nephrologen Emanuel Zitt, Oberarzt am Akademischen Lehrkrankenhaus Feldkirch, gekommen.

Für ihre Untersuchung zogen die Forscher die Daten von 100.269 Personen heran, die sich zwischen 1985 und 2005 in Vorarlberg einer Gesundenuntersuchung unterzogen ha-ben. Die Ergebnisse der ersten Vorsorgeuntersuchung, die im Mittel 23 Jahre zurücklag, glichen die Forscher mit den Einträgen des an der Univ.-Klinik für Innere Medizin IV (Direk-tor: Gert Mayer) in Innsbruck angesiedelten Österreichischen Dialyse- und Transplantati-onsregister ab. Anhand einer komplexen Mediationsanalyse errechnete Fritz den Gesamt-effekt von Übergewicht sowie den Effekt der einzelnen Einflussgrößen auf eine drohende Dialysepflicht.

Dabei stellte sich heraus, dass ein hoher TyG-Index (33 %) und Bluthochdruck (34 %) wie erwartet gewichtige Risikofaktoren sind und jeweils rund ein Drittel zur Gefahr eines Nie-renversagens durch Übergewicht und Adipositas beitragen. Überraschend für die Wissen-schafter, weil bisher kaum in der Fachliteratur berücksichtigt, ist der mit 30 Prozent ebenso große Einfluss von erhöhter Harnsäure. Vergleichsweise sehr niedrig fällt dagegen das Gefahrenpotential von erhöhten Cholesterinwerten (2 %) aus.

Übrig bleibt ein Rest von lediglich einem Prozent, der Übergewicht als eigenen Risikofaktor an sich ausweist. „Das Mediationsmodell ermöglicht es, den Einfluss von Übergewicht auf ein späteres Nierenversagen in indirekte und direkte Komponenten zu zerlegen. Indi-rekt ist dabei jener Effekt, der durch die metabolischen Risikofaktoren – erhöhter TyG-Wert, erhöhtes Cholesterin, Bluthochdruck, erhöhte Harnsäure – erklärt werden kann. Der direkte Effekt von Übergewicht ist jener, der nicht durch diese Risikofaktoren erklärt wer-den kann, und der mit einem Prozent sehr klein ist“, erläutert Fritz.

Stoffwechsel-Risikofaktoren wiegen schwerer

Entscheidend für das langfristige Dialyserisiko ist damit letztlich das Risikofaktorenprofil, wie Institutsleiter Ulmer anhand der Zahlen erläutert: „Während Normalgewichtige mit Risi-kofaktoren ein 4,5-fach erhöhtes Risiko gegenüber Normalgewichtigen ohne Risikofakto-ren aufweisen, haben adipöse Personen ohne Risikofaktoren nur ein rund zweifach erhöh-tes Risiko; mit Risikofaktoren jedoch ein 5,8-fach erhöhtes Risiko.“ Von den 100.269
StudienteilnehmerInnen, deren Daten der Vorarlberger Arbeitskreis für Vorsorge und So-zialmedizin bereitgestellt hat, wiesen 32,4 Prozent bei ihrer ersten Gesundenuntersuchung metabolische Risiken auf, 463 Personen (0,5 %) entwickelten in den Folgejahren ein Nie-renversagen.

Die gute Nachricht: Alle Risikofaktoren sind dank Lebensstilveränderung und/oder ent-sprechender Therapie modifizierbar. „Gewichtsreduktion ist ein wichtiger Nierengesund-heitsfaktor, aber Normalgewicht noch kein Garant. Auch bei Normalgewichtigen erhöht ein ungesunder Stoffwechselstatus mit Bluthochdruck, Insulinresistenz und erhöhter Harnsäure das Dialyserisiko. Übergewicht und Adipositas verschärfen die Situation zusätzlich. Normalgewicht, normaler Blutdruck und gesunder Stoffwechsel sind wahrscheinlich ein sehr hoher Garant für lebenslange Dialysefreiheit“, bringt Zitt die Ergebnisse auf den Punkt.

*TyG-Index: Der Triglyceride-Glucose-Index ist ein relativ neuer Parameter, der sich aus Triglyceriden und Glucose zusammensetzt. In dieser Kombination ergibt er einen aussa-gekräftigen Messwert für Insulinresistenz. In einer Vorstudie, die im März 2021 in JAMA Network Open publiziert wurde, erstellte Josef Fritz ein Mediationsmodell, das ausschließ-lich den TyG-Index für die Risikoberechnung von Übergewicht auf Nierenversagen berück-sichtigte.

Zur Person:
Josef Fritz ist Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Medizinische Statistik und Informatik. Sein Forschungsschwerpunkt als Biostatistiker ist die Analyse großer epidemiologischer Register- und Kohortendaten mittels neuer Methoden aus dem Bereich der kausalen Inferenz. Dabei untersucht er insbesondere den Einfluss von Lebensstil- und metabolischen Faktoren auf kardiovaskuläre, onkologische und nephrologische Outcomes.

Links zu den Forschungsarbeiten:
Fritz J. et. al.: “The Association of Excess Body Weight with Risk of ESKD Is Mediated Through Insulin Resistance, Hypertension, and Hyperuricemia”, JASN May 2022, ASN.2021091263; https://doi.org/10.1681/ASN.2021091263

Fritz, J. et. al.: “The Triglyceride-Glucose Index and Obesity-Related Risk of End-Stage Kidney Disease in Austrian Adults”, JAMA Netw Open. 2021;4(3):e212612. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.2612; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33787913/

Details zur Medizinischen Universität Innsbruck
Die Medizinische Universität Innsbruck mit ihren rund 2.200 MitarbeiterInnen und ca. 3.400 Studierenden ist gemeinsam mit der Universität Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein. An der Medizinischen Universität Innsbruck werden folgende Studienrichtungen angeboten: Humanmedizin und Zahnmedizin als Grundlage einer akademischen medizinischen Ausbildung und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.
Seit Herbst 2011 bietet die Medizinische Universität Innsbruck exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ an. Ab dem Wintersemester 2014/15 kann als weiterführende Ausbildung das Masterstudium „Molekulare Medizin“ absolviert werden. Ab Herbst 2022 bieten die Medizinische Universität Innsbruck und die Leopold-Franzens-Universität Innsbruck gemeinsam ein englischsprachiges Masterstudium „Pharmaceutical Sciences“ an, in dem die Studierenden eine fundierte Ausbildung im Bereich der Arzneimittelentwicklung erwerben können.

Die Medizinische Universität Innsbruck ist in zahlreiche internationale Bildungs- und Forschungsprogramme sowie Netzwerke eingebunden. Schwerpunkte der Forschung liegen in den Bereichen Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik, Epigenetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organ- und Gewebeersatz. Die wissenschaftliche Forschung an der Medizinischen Universität Innsbruck ist im hochkompetitiven Bereich der Forschungsförderung sowohl national auch international sehr erfolgreich.

Originalpublikation:

Fritz J. et. al.: “The Association of Excess Body Weight with Risk of ESKD Is Mediated Through Insulin Resistance, Hypertension, and Hyperuricemia”, JASN May 2022, ASN.2021091263; https://doi.org/10.1681/ASN.2021091263

Weitere Informationen:

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33787913/ Vorläuferstudie zu TyG-Index
Fritz, J. et. al.: “The Triglyceride-Glucose Index and Obesity-Related Risk of End-Stage Kidney Disease in Austrian Adults”, JAMA Netw Open. 2021;4(3):e212612. doi:10.1001/jamanetworkopen.2021.2612
https://oedtr.i-med.ac.at/team-des-oedtr/ Österreichisches Dialyse- und Transplantationsregister (Leiter: Gert Mayer)