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Die menschliche Leber ist nicht einmal drei Jahre alt

Ein internationales Forschungsteam hat mit Hilfe der Radiokarbondatierung nachgewiesen, dass die menschliche Leber ein Leben lang jung bleibt und im Durchschnitt weniger als drei Jahre alt ist.

Die Leber hat eine einzigartige Fähigkeit, sich nach einer Verletzung zu regenerieren. Es war jedoch unbekannt, ob diese Kapazität im Laufe des Lebens abnimmt. Internationale Forschende unter der Leitung von Dr. Olaf Bergmann vom Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) an der TU Dresden verwendeten eine Technik, die als retrospektive Radiokohlenstoff-Geburtsdatierung bekannt ist, um das Alter der menschlichen Leber zu bestimmen. Sie beobachteten, dass unabhängig vom Alter des Menschen, die Leber im Durchschnitt immer weniger als drei Jahre alt ist. Die Ergebnisse zeigen, dass das Altern keinen Einfluss auf die Erneuerung der Leberzellen hat und diese sich bei jungen und alten Menschen gleichermaßen gut ersetzen. Die interdisziplinäre Studie wurde in der Fachzeitschrift Cell Systems veröffentlicht.

Die Leber ist ein wichtiges Organ, das sich um die Neutralisierung von Giftstoffen in unserem Körper kümmert. Da sie ständig in Kontakt mit giftigen Stoffen ist, kann sie leicht geschädigt werden. Um dies auszugleichen, besitzt die Leber ein einzigartiges Vermögen, sich nach einer Verletzung zu regenerieren. Weil die Fähigkeit des Körpers, sich selbst zu heilen und zu regenerieren, im Laufe des Lebens abnimmt, fragten sich die Forschenden, ob auch die Erneuerung der Leber mit dem Alter sinkt.

Ebenso blieben einige Grundlagen der Lebererneuerung beim Menschen ein Rätsel. Tiermodelle lieferten dazu nur widersprüchliche Antworten. „Einige Studien wiesen auf die Möglichkeit hin, dass Leberzellen langlebig sind, während andere einen konstanten Umsatz zeigten. Uns war klar: um zu wissen, was beim Menschen passiert, müssen wir einen Weg finden, das Alter der menschlichen Leberzellen direkt zu bestimmen“, sagt Dr. Olaf Bergmann, Forschungsgruppenleiter am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden.

Die menschliche Leber bleibt ein junges Organ

Das interdisziplinäre Team aus Forschenden der Fachgebiete Biologie, Physik und Mathematik sowie klinischen Fachkräften unter der Leitung von Dr. Bergmann analysierte die Lebern mehrerer Personen, die im Alter zwischen 20 und 84 Jahren gestorben waren. Überraschenderweise stellte das Team fest, dass die Leberzellen aller Probanden mehr oder weniger das gleiche Alter hatten.

„Egal, ob man 20 oder 84 Jahre alt ist, die Leber bleibt im Durchschnitt unter drei Jahre alt“, erklärt Dr. Bergmann. Die Ergebnisse zeigen, dass die Anpassung der Lebermasse an die Bedürfnisse des Körpers durch den ständigen Austausch von Leberzellen genau geregelt ist. Dieser Prozess bleibt auch bei älteren Menschen erhalten. Dieser ständige Austausch von Leberzellen ist für verschiedene Aspekte der Leberregeneration und der Krebsentstehung von Bedeutung.

Leberzellen mit mehr DNA erneuern sich weniger

Allerdings sind nicht alle Zellen in unserer Leber so jung. Ein Teil der Zellen kann bis zu 10 Jahre alt werden, bevor sie sich erneuern. Diese Unterpopulation von Leberzellen trägt mehr DNA als die typischen Zellen. „Die meisten unserer Zellen haben zwei Chromosomensätze, aber einige Zellen akkumulieren mit zunehmendem Alter mehr DNA. Am Ende können solche Zellen vier, acht oder sogar mehr Chromosomensätze tragen“, erklärt Dr. Bergmann.

„Als wir typische Leberzellen mit den DNA-reicheren Zellen verglichen, fanden wir grundlegende Unterschiede in ihrer Erneuerung. Typische Zellen erneuern sich etwa einmal im Jahr, während die DNA-reicheren Zellen bis zu einem Jahrzehnt in der Leber verbleiben können“, sagt Dr. Bergmann. „Da dieser Anteil im Laufe des Lebens allmählich zunimmt, könnte dies ein Schutzmechanismus sein, der uns im Alter vor der Anhäufung schädlicher Mutationen bewahrt. Wir müssen herausfinden, ob es ähnliche Mechanismen bei chronischen Lebererkrankungen gibt, die sich in einigen Fällen zu Krebs entwickeln können.“

Lehren aus dem radioaktiven Niederschlag

Die Bestimmung des biologischen Alters menschlicher Zellen ist eine enorme technische Herausforderung, weil die üblicherweise in Tiermodellen verwendeten Methoden nicht auf den Menschen übertragen werden können.

Die Gruppe von Dr. Bergmann hat sich auf die retrospektive Radiokohlenstoff-Geburtsdatierung spezialisiert und verwendet diese Technik zur Bestimmung des biologischen Alters von menschlichem Gewebe. Kohlenstoff ist ein chemisches Element, das allgegenwärtig ist und das Rückgrat des Lebens auf der Erde bildet. Radiokohlenstoff ist eine der verschiedenen Arten von Kohlenstoff und kommt natürlich in der Atmosphäre vor. Pflanzen nehmen ihn durch Photosynthese auf, genau wie normalen Kohlenstoff, und geben ihn an Tiere und Menschen weiter. Radiokohlenstoff ist schwach radioaktiv und instabil. Diese Eigenschaften werden in der Archäologie verwendet, um das Alter von Proben zu bestimmen.

„Archäologen nutzen den Zerfall von Radiokohlenstoff seit vielen Jahren erfolgreich, um das Alter von Proben zu bestimmen, zum Beispiel bei der Datierung des Turiner Grabtuchs“, sagt Dr. Bergmann.  „Der radioaktive Zerfall von Radiokohlenstoff ist sehr langsam. Er bietet eine ausreichende Auflösung für Archäologen, ist aber nicht geeignet, um das Alter menschlicher Zellen zu bestimmen. Trotzdem können wir den Radiokohlenstoff in unserer Forschung nutzen.“

Die in den 1950er Jahren durchgeführten oberirdischen Kernwaffentests brachten massive Mengen an Radiokohlenstoff in die Atmosphäre, in Pflanzen und in Tiere ein. Infolgedessen haben Zellen, die in dieser Zeit entstanden sind, höhere Mengen an Radiokohlenstoff in ihrer DNA.

Nach dem offiziellen Verbot oberirdischer Kernwaffentests im Jahr 1963 begannen die Mengen an atmosphärischem Radiokohlenstoff zu sinken und damit auch an dem Radiokohlenstoff, der in die tierische DNA eingebaut wurde. Die Werte von atmosphärischem und zellulärem Radiokohlenstoff stimmen sehr gut überein.

„Auch wenn es sich um winzige Mengen handelt, die nicht schädlich sind, können wir sie in Gewebeproben nachweisen und messen. Durch den Vergleich der Werte mit dem atmosphärischen Radiokohlenstoff können wir rückwirkend das Alter der Zellen bestimmen“, erklärt Dr. Bergmann.

Einzigartige Einblicke direkt von der Quelle

Die Bergmann-Gruppe erforscht auch Mechanismen, welche die Regeneration von anderen Geweben antreiben, die als statisch gelten, wie das Gehirn oder das Herz. Das Team hat bereits sein Fachwissen in der retrospektiven Radiokohlenstoff-Geburtsdatierung genutzt, um zu zeigen, dass die Bildung neuer Gehirn- und Herzzellen nicht auf die pränatale Zeit beschränkt ist, sondern das ganze Leben lang andauert. Derzeit untersucht die Gruppe, ob bei Menschen mit einer chronischen Herzerkrankung noch neue Herzmuskelzellen gebildet werden können.

„Unsere Forschung zeigt, dass die direkte Untersuchung der Zellerneuerung beim Menschen technisch sehr anspruchsvoll ist, aber unvergleichliche Einblicke in die zugrundeliegenden zellulären und molekularen Mechanismen der menschlichen Organregeneration liefern kann „, schließt Dr. Bergmann.

Originalveröffentlichung

Paula Heinke, Fabian Rost, Julian Rode, Palina Trus, Irina Simonova, Enikő Lazar, Joshua Feddema, Thilo Welsch, Kanar Alkass, Mehran Salehpour, Andrea Zimmermann, Daniel Seehofer, Göran Possnert, Georg Damm, Henrik Druid, Lutz Brusch, Olaf Bergmann: Diploid hepatocytes drive physiological liver renewal in adult humans. Cell Systems (Mai 2022)
Link: http://doi.org/10.1016/j.cels.2022.05.001

Über das Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD)

Am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden widmen sich Spitzenforscher und -forscherinnen aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten. Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaft und Klinik, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungs- und Regenerationsbiologie, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen.
Das CRTD wurde 2006 als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und bis 2018 als DFG-Forschungszentrum, sowie als Exzellenzcluster gefördert. Seit 2019 wird das CRTD mit Mitteln der TU Dresden und des Freistaates Sachsen finanziert.
Das CRTD ist eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden.
Web: www.tu-dresden.de/cmcb/crtd
Web: www.tu-dresden.de/cmcb

Zusätzliche Materialien:

Website der Forschungsgruppe von Dr. Olaf Bergmann: https://tud.link/ad38