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Gut gewappnet – Wie der Verlust eines Proteins dazu beitragen könnte, Folgen eines Schlaganfalles besser zu verkraften

Für die Signalübertragung im Gehirn spielen Astrozyten, kleine sternförmige Zellen, eine wichtige Rolle. Da das Protein Ezrin vermehrt in den Astrozytenfortsätzen auftritt, wird eine Funktion in der Hirnfunktion vermutet. Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – (FLI) in Jena haben In-vivo-Studien zur Funktion und Rolle von Ezrin in der Hirnentwicklung und im erwachsenen Gehirn durchgeführt. Während der Verlust von Ezrin die Entwicklung kaum beeinflusst, ist die Signalverarbeitung und Form der Astrozyten verändert. Diese Effekte mildern die Toxizität von Neurotransmittern, insbesondere des Glutamats, scheinbar effektiver ab und schützen so Mäuse vor Stress (z.B. Schlaganfall).

Jena. Astrozyten sind sternförmige Zellen des Gehirns, die bei der Aufrechterhaltung der Blut-Hirn-Schranke, der Versorgung von Nervenzellen mit Nährstoffen und der Beseitigung von Stoffwechselprodukten eine bedeutende Rolle spielen. Mit über 50 Prozent nehmen sie den größten Teil von Gliazellen ein, den Stützzellen im Gehirn, die bis vor Kurzem nur als eine Art „Klebersubstanz“ für den Zusammenhalt von Nervenzellen betrachtet wurden. Doch diese Sichtweise hat sich speziell für die Astrozyten in den letzten Jahren gravierend geändert.

Demzufolge haben Astrozyten durch ihre strahlenförmigen Ausläufer (Astrozytenfortsätze), mit denen sie Kontakte zwischen Nervenzellen und Blutgefäßen vermitteln, eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn. Neben anderen wichtigen Bausteinen findet man in den Astrozytenfortsätzen vermehrt das Ezrin-Protein. Das lässt vermuten, dass Ezrin auch bei der neuronalen Entwicklung des Gehirns für die Funktion der Astrozyten wichtig ist. Wenngleich Ezrin bereits intensiv In-vitro in der Zellkultur untersucht wurde, fehlen bislang jedoch In-vivo-Studien zur Rolle des Proteins Ezrin in den Astrozyten.

Die Forschungsgruppe „Nervenregeneration“ um Frau Prof. Dr. Helen Morrison vom Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena hat nun in einer aktuellen Studie herausgefunden, welche Rolle Ezrin bei der Gehirnentwicklung spielt und wie seine Abwesenheit den Körper auf Stress, wie beispielsweise einen Schlaganfall, vorbereiten kann, um eventuelle Folgeschäden zu minimieren. Die Studie erschien jüngst im renommierten GLIA-Journal.

Welche Rolle spielt Ezrin bei der Gehirnentwicklung?

„Wie wir durch unsere eigene Forschung wissen, kommt Ezrin im sich entwickelnden Gehirn vor allem in den entstehenden Neuronen vor und ist auch im erwachsenen Gehirn in den peripheren Ausstülpungen der Astrozyten zu finden“, berichtet Prof. Morrison. „Doch bislang fehlen umfassende In-Vivo-Studien zu seiner funktionellen Bedeutung für das Nervensystem“.

Im Rahmen einer Doktorarbeit wurden daher In-Vivo-Studien an Mäusen durchgeführt, denen im Nervensystem Ezrin fehlte. Die anschließenden Untersuchungen konzentrierten sich vor allem auf den Bereich der Großhirnrinde als Modellsystem. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Astrozyten und ihre Fortsätze gerichtet, um die Bedeutung von Ezrin bei der Entwicklung des Gehirns und der Funktion im erwachsenen Gehirn genauer zu erforschen.

Ezrin-Mangel beeinträchtigt nicht die Gehirnentwicklung

„Wir waren zunächst recht erstaunt, dass sich die Mäuse trotz fehlendem Ezrin völlig normal entwickelten. Im Vergleich zu den Wildtyp-Mäusen wiesen sie auch keine offensichtlichen Defizite beim Lernen oder bei der Gedächtnisleistung auf“, berichtet Dr. Stephan Schacke, der seine Doktorarbeit zu diesem Thema verfasste. „Allem Anschein nach übernehmen bei der Entwicklung des Gehirns strukturell und funktionell verwandte Proteine, die Ezrin sehr ähnlich sind, seine fehlende Funktion und wirken so seinem Verlust entgegen.“ Lediglich bei der Erkundung von neuen Umgebungen zeigten die modifizierten Mäuse ein andersartiges, verlangsamtes Verhalten, was auf eine veränderte neuronale Signalverarbeitung hindeutet.

Ezrin-Mangel verändert den Glutamat-Stoffwechsel und die Astrozyten-Form

Durch die Anwendung histologischer Methoden und Proteomanalysen konnte nachgewiesen werden, dass sich durch den Verlust von Ezrin wichtige zellbiologische Prozesse verändern, wie zum Beispiel der Glutamat-Stoffwechsel. Glutamat ist einer der wichtigsten erregenden Botenstoffe (Neurotransmitter) im zentralen Nervensystem, der für die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen eine große Bedeutung hat.

Die Stärke der Signalübertragung wird unter anderem durch die Menge des ausgeschütteten Glutamats sowie durch die Geschwindigkeit bzw. die Dauer bis zur Wiederaufnahme des Neurotransmitters (und somit Übertragungsende) gesteuert. Bei der Signalübertragung spielt das Protein GLAST eine wichtige Rolle, welches direkt an der Glutamat-Wiederaufnahme beteiligt ist. Infolge des Verlustes von Ezrin kommt vermehrt GLAST vor, wodurch sich die Wiederaufnahme von Glutamat vermutlich verstärkt. Im Ergebnis schwächt sich einerseits die Signalübertragung ab und verkürzt sich andererseits. Das könnte eine mögliche Erklärung für das verzögerte Erforschungsverhalten der Tiere sein.

Der Verlust von Ezrin führt darüber hinaus zu einer Hochregulierung von GFAP, einem Gliafilament-Protein, das ebenfalls in Astrozyten vorkommt und für seine mechanischen Eigenschaften, die Beweglichkeit und die Zellform der Astrozyten verantwortlich ist. Der Anstieg von GFAP weist darauf hin, dass sich die Astrozyten in ihrem Aussehen morphologisch verändern und einen „reaktiven Status“ annehmen, wie er auch bei Schädigungen oder Erkrankungen des Gehirns zu beobachten ist.

Kann der Verlust von Ezrin Schlaganfällen vorbeugen?

In anknüpfenden Studien konnte gezeigt werden, dass die durch den Ezrin-Verlust ausgelöste Veränderung der Astrozyten im Vergleich zum Wildtyp diese Mäuse besser vor Stress schützt, beispielsweise vor einem ischämischen Schlaganfall, bei dem das Gehirn aufgrund einer blockierten Arterie nicht mehr ausreichend mit Blut und Sauerstoff versorgt wird. „Diese Mäuse können einen Schlaganfall deutlich besser verkraften als ihre Wildtyp-Verwandten, da sie durch die Hochregulierung von GLAST bereits gelernt haben, mit der Schädlichkeit und Toxizität von Neurotransmittern, insbesondere des Glutamats, umzugehen, was bei zu hoher Dosis zur Reizüberflutung und dem Absterben von Nervenzellen führen kann“, erläutert Prof. Morrison.

„Unsere Studie liefert damit nicht nur erste wichtige Erkenntnisse über die Bedeutung des Ezrin-Proteins für die Astrozyten-Funktion in unserem Körper, sondern zeigt einen möglichen Weg auf, wie sich nach einem Schlaganfall ein verbessertes Therapieergebnis erreichen lässt, wenn sich die durch die Anreicherung von Glutamat induzierte neuronale Exzitotoxizität, die zu Schäden und dem Absterben von Nervenzellen führt, effizient verhindern lässt.“ Die weitere Forschung dazu wird es zeigen.

Publikation

Ezrin deficiency triggers glial fibrillary acidic protein upregulation and a distinct reactive astrocyte phenotype. Schacke S, Kirkpatrick J, Stocksdale A, Bauer R, Hagel C, Riecken LB, Morrison H. Glia 2022, 70(12), 2309-29.
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/glia.24253

Hintergrundinformation

Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Rund 350 Mitarbeiter aus ca. 40 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter http://www.leibniz-fli.de.

Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen – in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2 Milliarden Euro. (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).