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Wenn ein Tumor den Körper mit dem Stresshormon Kortisol überschwemmt – DGE fordert: seltene hormonelle Erkrankungen früher erkennen

Seltene hormonelle Erkrankungen: Das Dilemma der späten Diagnose

Morbus Cushing – wenn Stresshormone krank machen

 

Baden-Baden – Die seltene hormonelle Krankheit Morbus Cushing ist die Folge eines gutartigen Tumors in der Hirnanhangsdrüse. Er verursacht krankhaft erhöhte Kortisolwerte. Diese führen zu typischen Symptomen wie Stammfettsucht, Büffelnacken und einem sogenannten Mondgesicht. Bis zur richtigen Diagnose vergehen jedoch oft Jahre. Dies bedeutet oftmals gravierende gesundheitliche Folgen für die Betroffenen, die bei früher Behandlung vermeidbar gewesen wären. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) setzt sich deshalb anlässlich des 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie vom 5. bis 7. Juni 2023 im Kongresszentrum Baden-Baden für bessere Versorgungsstrukturen, Weiterbildungen sowie mehr interdisziplinäre Forschung bei seltenen Hormonerkrankungen ein. Diese sind auch ein Thema auf der Online-Pressekonferenz am Mittwoch, 31. Mai 2023, von 11 bis 12 Uhr. Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/2461602454623988312

 

Morbus Cushing ist eine von rund 8.000 Seltenen Erkrankungen, von denen in Deutschland etwa vier Millionen Menschen betroffen sind. In der Europäischen Union gilt eine Krankheit dann als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen an ihr leiden. Bis zur richtigen Diagnose vergehen im Durchschnitt fünf, manchmal sogar mehr als zehn Jahre (1). Bei Morbus Cushing, an dem etwa zwei bis fünf Menschen pro eine Million Einwohner leiden, sind es durchschnittlich drei Jahre (2).  „Dies bedeutet oftmals einen langen Leidensweg für die Patientinnen und Patienten“, bedauert apl.-Professorin Dr. med. Ilonka Kreitschmann-Andermahr, Neurologin und Leiterin der Hochschulambulanz der Klinik für Neurochirurgie und Wirbelsäulenchirurgie am Universitätsklinikum Essen und DGE-Vorstandsmitglied.

 

Wenn Kortisol das Blut überschwemmt

Morbus Cushing wird durch einen gutartigen, hormonproduzierenden Tumor (Adenom) der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) verursacht. Die erbsengroße Drüse an der Schädelbasis steuert die Produktion und Freisetzung verschiedener Hormone im Körper, so dass immer die richtige Menge davon für verschiedene Körperfunktionen zur Verfügung steht. Diesen Steuerungsmechanismus setzt der Tumor durch eine Überproduktion des Hormons ACTH außer Kraft. Dadurch überschwemmt Kortisol, das durch die Wirkung von ACTH in den Nebennieren gebildet wird, den Körper. Das Stresshormon ist zwar lebensnotwendig, doch ein ständig erhöhter Spiegel schädigt den Körper. Bei Menschen mit Morbus Cushing lagert sich dann meist übermäßig viel Fett am Hals und im Rumpfbereich an, vor allem um die Organe im Bauchraum; Arme und Beine verlieren Muskelmasse und werden dünn (Stammfettsucht). Zudem werden Blutgefäße und Haut empfindlicher und dünner, was zu Blutergüssen und breiten Dehnungsstreifen führen kann. Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Osteoporose, Depressionen und Gedächtnisstörungen sind weitere Folgen der Erkrankung. (3)

 

Frühe Diagnose verhindert Leid

Diese Veränderungen entwickeln sich allmählich. Deshalb suchen Betroffene in der Regel erst spät verschiedene Fachärztinnen oder -ärzte auf, denen sie dann häufig nur einzelne Krankheitsanzeichen präsentieren. Mangelnde Schulung und die Ähnlichkeit mit Symptomen bekannter Volkskrankheiten führen viele Ärztinnen und Ärzte auf die falsche Fährte (4): „Fehldiagnosen sind bei Morbus Cushing leider nicht selten – auch, weil die Konsultationszeiten im ärztlichen Alltag oft eng getaktet sind und wenig Zeit für fachübergreifende Anamnesen lassen“, beobachtet Professorin Kreitschmann-Andermahr.

Die Folgen können gravierend sein: So leiden Menschen mit Morbus Cushing, deren Krankheit erst spät erkannt wurde, selbst nach erfolgreicher Behandlung oft noch unter Depressionen, den Folgen Osteoporose-bedingter Knochenbrüche oder an chronischen Folgekrankheiten, die ihre Lebensqualität stark beeinträchtigen (5).

 

Steht die Diagnose einmal fest, ist Morbus Cushing gut behandelbar. Durch ein fachübergreifendes Vorgehen unter Beteiligung neurochirurgischer, endokrinologischer, teils auch strahlentherapeutischer Expertise gelingt es in der Regel, die Hormonwerte zu stabilisieren, Symptome zu lindern und schwere Folgekrankheiten zu vermeiden. Damit normalisiert sich auch die Lebenserwartung (3). „Die DGE setzt sich deshalb für eine schnellere Erkennung, eine zielgerichtete Therapie und weitere Erforschung von Morbus Cushing und anderen seltenen hormonellen Erkrankungen ein“, erklärt DGE-Kongresspräsident Professor Dr. med. Jürgen Honegger. Und weiter: „Dabei soll nicht nur ein fachübergreifender, sondern auch ein ganzheitlicher Therapieansatz verfolgt werden – in dem nicht nur die Behandlung der medizinischen Symptome im Mittelpunkt steht, sondern auch die Verbesserung der Lebensqualität Betroffener“, so der Neurochirurg, der als stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leiter der Hypophysenchirurgie an der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen tätig ist.

„Erfreulicherweise helfen kürzlich publizierte Leitlinien (6, 7) dabei, die Diagnostik und Therapie zu vereinheitlichen, um bei entsprechendem Verdacht möglichst schnell mit der Behandlung beginnen zu können“, ergänzt DGE-Mediensprecher Prof. Dr. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Androloge in Hamburg.

 

Wie Morbus Cushing und andere seltene hormonelle Erkrankungen künftig schneller erkannt und behandelt werden können, erklärt Professorin Kreitschmann-Andermahr auf der DGE-Online-Pressekonferenz in ihrem Beitrag „Gefährliche Falschdiagnosen bei seltenen Erkrankungen der Hypophyse am Beispiel von Akromegalie und Morbus Cushing – wie lassen sie sich vermeiden?“ am 31. Mai 2023, von 11 bis 12 Uhr.

 

 

Literatur:

  1. Verband der Universitätsklinika Deutschland: https://www.uniklinika.de/themen-die-bewegen/seltene-erkrankungen-waisen-der-medizin/seltene-erkrankungen-in-zahlen-fakten/
  2. Rubinstein G, Kreitschmann-Andermahr I et al. Time to Diagnosis in Cushing’s Syndrome: A Meta-Analysis Based on 5367 Patients. J Clin Endocrinol Metab. 2020 Mar 1;105(3): dgz136. doi: 10.1210/clinem/dgz136. PMID: 31665382.
  3. DGE, Cushing Syndrom: https://www.endokrinologie.net/cushing-syndrom.php
  4. Kreitschmann-Andermahr I, Psaras T et al. From first symptoms to final diagnosis of Cushing’s disease: experiences of 176 patients. Eur J Endocrinol. 2015 Jun;172(6):X1. doi: 10.1530/EJE-14-0766e. Erratum for: Eur J Endocrinol. 2015 Mar;172(3):285-9. PMID: 25976214.
  5. Valassi E, Chiodini I et al. Unmet needs in Cushing’s syndrome: the patients’ perspective. Endocrine Connections 2022 Jun; 11(7). doi.org/10.1530/EC-22-0027
  6. Fleseriu M, Auchus R, Bancos I, Ben-Shlomo A, Bertherat J, Biermasz NR, Boguszewski CL, Bronstein MD, Buchfelder M, Carmichael JD, Casanueva FF, Castinetti F, Chanson P, Findling J, Gadelha M, Geer EB, Giustina A, Grossman A, Gurnell M, Ho K, Ioachimescu AG, Kaiser UB, Karavitaki N, Katznelson L, Kelly DF, Lacroix A, McCormack A, Melmed S, Molitch M, Mortini P, Newell-Price J, Nieman L, Pereira AM, Petersenn S, Pivonello R, Raff H, Reincke M, Salvatori R, Scaroni C, Shimon I, Stratakis CA, Swearingen B, Tabarin A, Takahashi Y, Theodoropoulou M, Tsagarakis S, Valassi E, Varlamov EV, Vila G, Wass J, Webb SM, Zatelli MC, Biller BMK. Consensus on diagnosis and management of Cushing’s disease: a guideline update. Lancet Diabetes Endocrinol. 2021;9:847-875.
  7. Fallo F, Di Dalmazi G, Beuschlein F, Biermasz NR, Castinetti F, Elenkova A, Fassnacht M, Isidori AM, Kastelan D, Korbonits M, Newell-Price J, Parati G, Petersenn S, Pivonello R, Ragnarsson O, Tabarin A, Theodoropoulou M, Tsagarakis S, Valassi E, Witek P, Reincke M. Diagnosis and management of hypertension in patients with Cushing’s syndrome: a position statement and consensus of the Working Group on Endocrine Hypertension of the European Society of Hypertension. J Hypertens. 2022

 

Interessenkonflikte:

Frau apl.-Prof. Kreitschmann-Andermahr hat in den vergangenen fünf Jahren Forschungsgelder, Kongresskostenunterstützungen, Vortragshonorare und/oder Honorare für Beratertätigkeiten von Firmen, die Medikamente zur Behandlung der Akromegalie (IPSEN Pharma, Pfizer Pharma, Advanz Pharma) oder zur Behandlung des M. Cushing (Recordati Pharma, HRA Pharma) erhalten. Sie ist Schatzmeisterin der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie.

 

Terminhinweise (Auswahl) von Sitzungen zu dem Thema auf dem 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie vom 5. bis 7. Juni 2023 im Kongresszentrum Baden-Baden:

  • 6. Juni 2023 10.45 Uhr 12.15 Uhr: Update Hypophyse (Symposium 4)
  • 6. Juni 2023 16.00 bis 18.00 Uhr: Future landscape in Cushing’s disease (Symposium der European Society of Endocrinology, live streaming)

 

Pressekonferenz
anlässlich des 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) vom 5. bis 7. Juni 2023 in Baden-Baden

Termin: Mittwoch, 31. Mai 2023, 11.00 bis 12.00 Uhr
Ort: Video-Konferenz
Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/2461602454623988312

Kongressmotto: „Endokrinologie pur und interdisziplinär“

Vorläufige Themen und Referenten:

Highlights des 66. DGE-Kongresses
Prof. Dr. med. Jürgen Honegger
Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leiter der Hypophysenchirurgie an der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen,
Kongresspräsident DGE 2023

Gefährliche Falschdiagnosen bei seltenen Erkrankungen der Hypophyse am Beispiel von Riesenwuchs (Akromegalie) und Morbus Cushing – wie lassen sie sich vermeiden?

Apl.-Prof. Dr. med. Ilonka Kreitschmann-Andermahr
Leitung Ambulanz, Oberärztin für Neurologie und Spezielle Schmerztherapie Neurochirurgische Klinik, Universitätsmedizin Essen,
Vorstandsmitglied DGE
und
Prof. Dr. med. Jürgen Honegger

Stresshormon Kortisol: heikle Balance zwischen zu viel und zu wenig. Aktueller Stand von Diagnostik und Therapie

Prof. Dr. med. Stephan Petersenn
ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie, Hamburg,
Pressesprecher der DGE

Krankheiten erforschen und heilen, Medikamentennebenwirkungen vermeiden: Brauchen wir in Zeiten von „Organs on the Chip“ und „Modelling“ noch Tiermodelle?

Prof. Dr. rer. nat. Jan P. Tuckermann
Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere, Universität Ulm,
Vorstandsmitglied DGE

 

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