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Stresshormon Kortisol: heikle Balance zwischen zu viel und zu wenig

Lebensgefährliche Nebennierenschwäche: oft unerkannt und zu spät behandelt

Baden-Baden – Ein fieberhafter Infekt, ein sportliches Wettkampfevent, eine Operation oder auch nur ein Sprung in den eiskalten See: Das sind Situationen, in denen der Stoffwechsel schnell mehr leisten muss. Für die erforderliche Zusatzenergie sorgt dann ein Anstieg des körpereigenen Nebennieren-Hormons Kortisol. Arbeitet die Nebenniere jedoch nicht richtig und steht deshalb zu wenig Kortisol zur Verfügung, kann es schnell zu einem lebensgefährlichen Schock kommen. Aufgrund der teils unspezifischen Symptome einer Nebennierenschwäche und der gleichzeitig dramatischen Konsequenzen kann eine rechtzeitige Diagnose lebensrettend sein. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) im Vorfeld des 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie vom 5. bis 7. Juni 2023 im Kongresszentrum Baden-Baden hin. Auf einer Online-Pressekonferenz am Mittwoch, 31. Mai 2023, von 11 bis 12 Uhr sind Störungen der Kortisolregulation, ihre Gefahren und Therapiemöglichkeiten ein Thema. Hier geht es zur Anmeldung: https://attendee.gotowebinar.com/register/2461602454623988312

Das Stresshormon Kortisol trägt dazu bei, den Kreislauf und den Blutzucker zu stabilisieren und an die jeweiligen Belastungen anzupassen. Zudem hat es einen entzündungshemmenden Effekt. Normalerweise bildet die Nebenniere bei körperlichem Stress vermehrt Glukokortikoide und gibt sie in die Blutbahn ab. Liegt eine Schwäche der Nebennieren vor und fehlt deshalb das Kortisol, kann es zu niedrigem Blutdruck, niedrigem Blutzucker und zu einer ungehemmt ablaufenden, überschießenden Entzündungsreaktion kommen. Im schlimmsten Fall droht ein Schock.

Kortisontherapie immer langsam ausschleichen

„Es gibt verschiedene Ursachen für eine Schwäche der Nebennieren“, erläutert DGE-Mediensprecher Prof. Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Androloge in Hamburg. Nach einer hochdosierten Langzeittherapie mit synthetischen Glukokortikoiden (Prednison, Prednisolon, Dexamethason) etwa kann es vorkommen, dass die Nebennieren „verlernt“ haben, selbst ausreichend Kortisol zu produzieren. Wird das Medikament rasch abgesetzt, fehlt das Hormon. „Dies ist auch der Grund, warum man eine Kortisontherapie immer langsam `ausschleichen´ muss. Dann hat der Körper Zeit, die eigene Produktion wieder aufzunehmen“, so der Endokrinologe.

Die häufigste Ursache für den Ausfall der Kortisol-Produktion im Erwachsenenalter ist jedoch eine Erkrankung der Nebennieren. Hier zählen etwa eine autoimmun bedingte Entzündung der Nebennieren wie Autoimmunadrenalitis/Morbus Addison zu den Ursachen.

„Es gibt darüber hinaus auch eine sogenannte sekundäre Form, bei der Erkrankungen von Hypothalamus und Hypophyse die Ursache sind – etwa gutartige Hypophysenadenome“, so Petersenn weiter. Durch die Hormonregelkreise strahlen diese Erkrankungen auch auf die Nebennieren aus: „Dann fehlen die stimulierenden Hormone CRH (aus dem Hypothalamus) und/oder ACTH (aus dem Hypophysenvorderlappen)“, so Petersenn.

Nebennierenschwäche wird oft zu spät erkannt

Meist ist die Entwicklung einer sekundären Nebenniereninsuffizienz eher schleichend mit unspezifischen Symptomen wie Leistungsverlust und Müdigkeit, Muskel- und Gelenkschmerzen sowie psychiatrischen und zentralnervösen Auffälligkeiten, etwa Psychosen, Depressionen und Gedächtnisstörungen. Seltener werden Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen sowie Unterzuckerung beschrieben. Daher werde die Diagnose häufig erst spät gestellt. Liegt sie vor, lässt sich das fehlende Kortisol im Alltag gut ersetzen und die Symptome bilden sich zurück. Eine Schwachstelle der Therapie bilden jedoch plötzliche Belastungssituationen: dann müssen Betroffene mehr Kortison erhalten, um stabil zu bleiben. „Patientinnen und Patienten mit einer Nebennierenschwäche sollten deshalb gut geschult sein und immer einen Notfallausweis mit sich tragen, in dem die Diagnose „Nebenniereninsuffizienz“ vermerkt ist.“

Informationsbedarf auch in der Ärzteschaft

Doch auch in der Ärzteschaft besteht Informationsbedarf: Untersuchungen haben gezeigt, dass sowohl die Diagnostik als auch die Therapie der Nebennierenschwäche bisher uneinheitlich gehandhabt würden (1, 2). Kongresspräsident Professor Dr. med. Jürgen Honegger, stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leiter der Hypophysenchirurgie an der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen, weist darauf hin, dass die DGE spezielle Schulungen gemeinsam für Endokrinologinnen und Endokrinologen und Medizinische Fachangestellte entwickelt hat, um die Behandlung der Patientinnen und Patienten weiter zu verbessern. Um auch Ärztinnen und Ärzte anderer Fachbereiche auf die Problematik aufmerksam zu machen, hat die DGE zudem eine Empfehlung für die Initiative „Klug entscheiden“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) formuliert: „Eine Hydrokortisontherapie bei substitutionspflichtigen Patienten soll in relevanten Stresssituationen nicht ohne Dosisanpassung bleiben (3)“.

Oft verzögerte Therapie von Notfällen

„Wir wissen zudem, dass es oft nur mit Verzögerung zur Einleitung einer Notfalltherapie kommt“, so Petersenn weiter. Danach stellt sich die Mehrzahl der Patientinnen und Patienten zeitnah bei einer vermuteten beginnenden Nebennierenkrise im Krankenhaus vor, aber nur etwa die Hälfte von ihnen erhält auch fristgerecht die Kortison-Notfallmedikation (4). Dabei stelle sich auch die Frage der Dosierung: Im Zweifelsfall gelte es, die höhere Kortison-Stressdosis zu verabreichen oder lieber einmal zu viel als einmal zu wenig anzuwenden. „Eine eventuelle einmalige Überdosierung ist weniger schlimm als das Risiko, an einem Schock aufgrund einer Unterversorgung zu sterben“, so Petersenn.

Auf der Online-Pressekonferenz anlässlich des 66. Kongresses der DGE erklärt Petersenn, wie man eine Nebenniereninsuffizienz rechtzeitig erkennt, welche Erkrankungen die Kortisolproduktion einschränken können und welche Therapien möglich sind.

Literatur:

  • Petersenn S, Honegger J, Quinkler M. National German Audit of Diagnosis, Treatment, and Teaching in Secondary Adrenal Insufficiency. Horm Metab Res. 2017;49:580-588.
  • Burger-Stritt S, Eff A, Quinkler M, Kienitz T, Stamm B, Willenberg HS, Meyer G, Klein J, Reisch N, Droste M, Hahner S. Standardised patient education in adrenal insufficiency: a prospective multi-centre evaluation. Eur J Endocrinol. 2020;183:119-127.
  • https://www.klug-entscheiden.com/empfehlungen/endokrinologie
  • Hahner S, Hemmelmann N, Quinkler M et al. Timelines in the management of adrenal crisis – targets, limits and reality. Clin Endocrinol (Oxf.) 2015; 82(4): 497–502

Weitere Informationen:

https://www.endokrinologie.net/sektion-nebenniere-steroide-hypertonie.php

Interessenkonflikte:

Professor Stephan Petersenn hat für die Firmen HRA-Pharma, Recordati, und Takeda an Advisory Boards teilgenommen und/oder Vorträge bei Workshops gehalten.

Terminhinweise (Auswahl) von Sitzungen zu dem Thema auf dem 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie vom 5. bis 7. Juni 2023 im Kongresszentrum Baden-Baden:

  • 6. Juni 2023, 10.45 bis 12.15 Uhr: Update Hypophyse (Symposium 4)
  • 6. Juni 2023, 16.00 bis 18.00 Uhr: Future landscape in Cushing’s disease (Symposium der European Society of Endocrinology, Live Stream)

Online-Pressekonferenz

anlässlich des 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie e.V. (DGE) vom 5. bis 7. Juni 2023 in Baden-Baden

Termin: Mittwoch, 31. Mai 2023, 11.00 bis 12.00 Uhr
Ort: Video-Konferenz
Teilnahmelink: https://attendee.gotowebinar.com/register/2461602454623988312

Kongressmotto: „Endokrinologie pur und interdisziplinär“

Vorläufige Themen und Referenten:

Highlights des 66. DGE-Kongresses
Prof. Dr. med. Jürgen Honegger
Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Leiter der Hypophysenchirurgie an der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Tübingen,
Kongresspräsident DGE 2023

Gefährliche Falschdiagnosen bei seltenen Erkrankungen der Hypophyse am Beispiel von Morbus Cushing – wie lassen sie sich vermeiden?
Apl.-Prof. Dr. med. Ilonka Kreitschmann-Andermahr
Leitung Ambulanz, Oberärztin für Neurologie und Spezielle Schmerztherapie, Neurochirurgische Klinik, Universitätsmedizin Essen,
Vorstandsmitglied DGE,
und
Prof. Dr. med. Jürgen Honegger

Stresshormon Kortisol: heikle Balance zwischen zu viel und zu wenig. Aktueller Stand von Diagnostik und Therapie
Prof. Dr. med. Stephan Petersenn
ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie, Hamburg,
Pressesprecher der DGE

Krankheiten erforschen und heilen, Medikamentennebenwirkungen vermeiden: Brauchen wir in Zeiten von „Organs on the Chip“ und „Modelling“ noch Tiermodelle?
Prof. Dr. rer. nat. Jan P. Tuckermann
Leiter des Instituts für Molekulare Endokrinologie der Tiere, Universität Ulm,
Vorstandsmitglied DGE