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Übergewichtig ist nicht gleich adipös!

Gewichtsprobleme sind in unserer Gesellschaft ein zunehmendes Problem. Stigmatisierung, Ausgrenzung sowie gesundheitliche Einschränkungen gehen damit einher. Doch was, wenn kein ungesunder Lebensstil hinter einer rapiden Gewichtszunahme steckt? Stoffwechselerkrankungen wie etwa Morbus Madelung sind zwar sehr selten, lassen sich jedoch bei genauer klinischer Diagnose sehr gut behandeln. Die Spezialisten der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie (PHW) des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) bieten Betroffenen eine umfassende Betreuung und sind darüber hinaus auch in der Forschung sehr aktiv.

Der erste Eindruck zählt! Leider ist dieser erste Eindruck oft visueller Natur, und wir taxieren unser Gegenüber nach dem Äußeren. Groß, klein, dünn oder dick – schnell ist ein (Vor-) Urteil gefällt. Ist unser Gegenüber dick, schließen wir nicht selten auf ungesunde, falsche Ernährung. „Dick heißt jedoch nicht gleich adipös“, kontert Dmytro Oliinyk die Vorurteile. „Oftmals können Dicksein und ein erhöhter Körperfettanteil auch medizinische Ursachen haben. Die Lipolyse, also Verwertung von Fetten im Körper, und Fettverteilung können gestört sein“, so der Assistenzarzt der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKR weiter. Im Unterschied zu einer Adipositas, die oft auf mangelnde Bewegung und ungesunde Ernährung zurückzuführen ist, lässt sich eine Lipolyse wie etwa beim Morbus Madelung nicht durch Sport und Diäten verbessern. Dabei müssen drei verschiedene Typen der Erkrankung unterschieden werden. Bei Typ 1 tritt das Fettgewebe vermehrt in der oberen Körperhälfte, insbesondere an Nacken, Armen, Hals und am oberen Rücken, auf. Typ 2 hingegen betrifft eher Hüften und Oberschenkel und unterscheidet sich damit rein äußerlich kaum von einer Adipositas. Beim seltenen Typ 3 wird das Fettgewebe v.a. um den Bauch abgelagert. „Bei Morbus Madelung setzen Betroffene sehr schnell Fett an, und die Erkrankung schreitet rasch voran, bis ein Plateau erreicht ist. Um abzuklären, ob es sich bei solchen Symptomen um Morbus Madelung handelt, sind eine genaue klinische Diagnose und eine ausführliche Patientenanamnese notwendig“, sagt Professor Dr. Dr. Lukas Prantl, Leiter der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Universitätsklinikums Regensburg.

Aus diesem Grund rät Professor Prantl möglichen Betroffenen, sich immer in einem spezialisierten Zentrum vorzustellen, um eine klare klinische Diagnose stellen zu lassen. In der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des UKR bieten die Mediziner ihren Patienten ein Rundum-Paket in der medizinischen Versorgung – von der Diagnose über die Therapie bis hin zur Nachsorge – und sind darüber hinaus in zahlreiche Forschungsprojekte zu Fettverteilungserkrankungen eingebunden. Damit fließen Erfahrungen aus der Patientenversorgung unmittelbar in die Forschung. Umgekehrt kommen neue wissenschaftliche Erkenntnisse direkt in der Patientenversorgung zur Anwendung.

Chirurgische Entfernung des Fettgewebes als letztes Mittel

Die Folgen für Patienten mit Morbus Madelung können in jedem Fall groß sein. Stigmatisierung in der Gesellschaft, Ausgrenzung, eine erhöhte psychische und physische Belastung bis hin zu Atemproblemen. Doch gerade der Schritt zum Arzt ist für viele Betroffene ein schwieriger, denn mit der Veränderung des Körpers wächst oft auch die Scheu, sich einem Arzt zu öffnen. „Wir nehmen unsere Patienten ernst und versuchen ihnen einfühlsam und nachhaltig zu helfen“, beschwichtigt Oliinyk. Doch wie erkennt man eine solche Erkrankung? „Morbus Madelung tritt in den meisten Fällen schnell auf und führt zu einer rasanten Gewichtszunahme. Übliche Maßnahmen zur Gewichtsreduktion wie Sport und Diät bleiben dabei wirkungslos“, ordnet Oliinyk ein. Eine chirurgische Resektion bzw. eine ultraschallgestützte Liposuktion (Fettabsaugung) sind oft das letzte Mittel. „Nach einer chirurgischen Entfernung des Fettgewebes ist es notwendig, kontinuierlich bei einem Spezialisten in Behandlung zu bleiben, denn die Gefahr eines Rezidivs ist durchaus gegeben.“ Die Frage nach dem „Warum?“ müssen die Wissenschaftler allerdings erst noch weiter erforschen.

Auslöser für Morbus Madelung weitgehend noch unerforscht

Die Ursachen für eine Störung der Lipolyse sind bisher noch weitgehend unbekannt. „Wir wissen, dass Alkohol als ein Mitauslöser in Frage kommt, es jedoch bisher keine definierten erblichen Auslöser für Morbus Madelung und vergleichbare Erkrankungen gibt. Zurzeit werden einzelne Punktmutationen in der mitochondrialen DNA und Fehlfunktionen der zellulären Atmungskette diskutiert“, so Oliinyk. „Eine Erkrankung lässt sich also nur schwer vorhersagen und in ihren Ursachen nur schwer bekämpfen.“ Bekannt ist, dass Männer ca. 30 Mal häufiger betroffen sind als Frauen, dass Morbus Madelung häufig im mittleren Alter, also zwischen 30 und 70 Jahren, und häufig als Begleiterkrankung etwa bei Myo- oder Neuropathien auftritt. Darüber hinaus erkrankt nur einer von 25.000 Menschen daran, weshalb Morbus Madelung als so genannte Seltene Erkrankung eingestuft wird. Um mehr über diese extrem seltene Erkrankung herauszufinden, dadurch die Diagnosestellung zur erleichtern und in der Folge die Therapieoptionen zu verbessern, analysieren die Mediziner am UKR Proben von Betroffenen. „Wir isolieren Zellpopulationen aus den Fettproben, untersuchen das Gewebe und hoffen so, eine Expressionsrate, also die Produktionsmenge bestimmter Eiweiße in betroffenen Zellen zu erkennen. Dabei werden die entnommenen Zellen gezielt stimuliert oder gehemmt, um unsere Erkenntnisse daraus zu ziehen und hoffentlich eines Tages den genauen Trigger für die Erkrankung zu identifizieren“, erklärt Oliinyk das wissenschaftliche Vorgehen. Aus diesem Grund sind die Ärzte und Wissenschaftler auch immer auf der Suche nach Patienten, um ihre Studiendaten auszuweiten, denn nur mit aktiver Forschung besteht Hoffnung, Morbus Madelung eines Tages heilen zu können.