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Havanna-Syndrom: Zu wenig wissenschaftliche Daten, um die Ursache klar benennen zu können

Zwei aktuelle Studien in JAMA geben keine signifikanten Hinweise auf physiologische Anomalien bei Betroffenen des rätselhaften Havanna-Syndroms. In einem Editorial werden methodische Mängel als möglicher Grund für die negativen Studienergebnisse trotz möglichem Zusammenhang der Symptome mit hochfrequenter elektromagnetischer Energie diskutiert. Nach Ansicht der DGN ist die Datenlage zu dünn, um zuverlässige Aussagen über Erkrankungsbild und Ätiologie treffen zu können.

Zwei aktuelle Studien im renommierten Fachjournal JAMA [1, 2] stellen die Ergebnisse von Untersuchungen bei Betroffenen mit dem rätselhaften Havanna-Syndrom vor. Die Betroffenen berichteten über neurologische Beschwerden wie Schwindel, Benommenheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, verschwommenes Sehen, Tinnitus und kognitive Dysfunktionen, die nach einem plötzlich auftretenden schneidend-hohen Geräusch, oft begleitet von dem Gefühl eines erhöhten Drucks auf den Ohren, auftraten. Erstmals berichteten Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna im Jahr 2016 von diesem Phänomen, weshalb es auch „Havanna-Syndrom“ genannt wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen von „anomalous health incidents“ (AHIs). Immer wieder traten neue AHI-Fälle auf, oft begleitet von Spekulationen über eine rätselhafte „Neuro-Waffe“.

Was steckt dahinter? Man muss sagen: Im Moment lässt sich das wissenschaftlich nicht sicher sagen. Die beiden Studien kommen zu eher ernüchternden Ergebnissen. Weder bei klinischen noch bei Laboruntersuchungen wurden signifikante Auffälligkeiten beobachtet [1], die Befunde der zerebralen Bildgebung waren ebenfalls regelrecht [2]. Im begleitenden Editorial [3] diskutiert David A. Relmann die Ergebnisse kritisch. Wegen der klinischen Heterogenität der Fälle seien klare Aussagen nur schwer möglich. Die untersuchten Neurodestruktionsmarker Gliafaserprotein (GFAP) und Neurofilament-Leichtketten (NFL) würden unmittelbar nach einem Hirntrauma ansteigen, nach 24 Stunden ihren Peak erreichen, dann wieder abfallen und seien oft nach drei Tagen unauffällig [4]. Aber nur 16 der 86 Proben wurden binnen drei Tagen nach dem Ereignis entnommen – allein das könne erklären, warum in der Studie keine signifikanten Unterschiede zur Kontrollgruppe festgestellt werden konnten. Wie er weiter ausführte, lagen von zwei der betroffenen Personen Vergleichswerte von vor dem Ereignis vor; bei einem der beiden wurde ein signifikanter Anstieg in den Stunden nach dem Ereignis beobachtet, der dann in den nächsten Tagen wieder zurückging. Relmann führt darüber hinaus ältere Studien an [5, 6], die einen möglichen Zusammenhang zu hochfrequenter elektromagnetischer Energie (z. B. Mikrowellenstrahlung) nahelegen. Auch Ultraschall wird als Ursache diskutiert. Eine 2020 in Lancet publizierte Arbeit [7] kam zu dem Ergebnis „Havana syndrome might be the result of energy pulses“.

Ist das plausibel? Grundsätzlich muss gesagt werden, dass es insgesamt wenig Forschungsarbeiten dazu gibt, welche neurologischen Symptome elektromagnetische Strahlung und Ultraschall auslösen. Generell kann aber festgehalten werden, dass sie Effekte auf das Gehirn haben, letztlich werden sie bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen auch therapeutisch eingesetzt, wenn auch noch experimentell. Ein Beispiel ist der Magnetresonanz(MR)-gesteuerte hoch fokussierte Ultraschall (MRgFUS) zur Parkinson-Therapie. Dieser aktiviert die Ionenkanäle und kann zur kurzzeitigen Durchlässigkeit der Blut-Hirn-Schranke führen.

„Die derzeitige Datenlage ist zu dünn, um sagen zu können, womit wir es beim Havanna-Syndrom wirklich zu tun haben“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Die klinischen Symptome ähneln denen einer Vestibularisneuropathie oder Vestibularismigräne. Allerdings fehlen aussagekräftige Untersuchungsergebnisse, um hier wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen zu können. Und ob die Symptome durch Mikrowellenstrahlung induziert sein könnten, ist völlig offen.“ Grundsätzlich wird dies für möglich gehalten („in principle, high peak power IR lasers can induce auditory/vestibular responses in humans via thermoelastic sound generation when directed against the head“[8]).

Nach Ansicht der DGN müssten neu auftretende Fälle innerhalb der ersten 24 Stunden nach Symptombeginn neurologisch untersucht und mögliche Biomarker umfassend und standardisiert erfasst werden, bevor valide Aussagen getroffen werden können. Die Befunde der aktuellen Studien zeigen jedenfalls keine bleibenden Folgen bei den „anomalous health incidents“ des so genannten Havanna-Syndroms.

[1] Chan L, Hallett M, Zalewski CK et al. Clinical, Biomarker, and Research Tests Among US Government Personnel and Their Family Members Involved in Anomalous Health Incidents. JAMA. 2024 Apr 2;331(13):1109-1121. doi: 10.1001/jama.2024.2413. PMID: 38497797; PMCID: PMC10949151.
[2] Pierpaoli C, Nayak A, Hafiz R et al. Neuroimaging Findings in US Government Personnel and Their Family Members Involved in Anomalous Health Incidents. JAMA. 2024 Apr 2;331(13):1122-1134. doi: 10.1001/jama.2024.2424. PMID: 38497822; PMCID: PMC10949155.
[3] Relman DA. Neurological Illness and National Security: Lessons to Be Learned. JAMA. 2024 Apr 2;331(13):1093-1095. doi: 10.1001/jama.2023.26818. PMID: 38497785.
[4] McCrea M, Broglio SP, McAllister TW et al. Association of Blood Biomarkers With Acute Sport-Related Concussion in Collegiate Athletes: Findings From the NCAA and Department of Defense CARE Consortium. JAMA Netw Open. 2020 Jan 3;3(1):e1919771. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2019.19771. PMID: 31977061; PMCID: PMC6991302.
[5] Golomb BA. Diplomats‘ Mystery Illness and Pulsed Radiofrequency/Microwave Radiation. Neural Comput. 2018 Nov;30(11):2882-2985. doi: 10.1162/neco_a_01133. Epub 2018 Sep 5. PMID: 30183509.
[6] Lin JC. Microwave auditory effects among US government personnel reporting directional
udible and sensory phenomena in Havana. IEEE Access. 2022;10:44577-44582. doi:10.1109/ACCESS. 2022.3168656
[7] Nelson R. Havana syndrome might be the result of energy pulses. Lancet. 2021 Dec 19;396(10267):1954. doi: 10.1016/S0140-6736(20)32711-2. PMID: 33341130.
[8] Foster KR. Commentary: Can the microwave auditory effect be „weaponized“? Front Public Health. 2023 Jan 9;10:1118762. doi: 10.3389/fpubh.2022.1118762. PMID: 36699929; PMCID: PMC9869364.