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Hypothese: Wir neigen dazu, unsere Probleme zu medikamentieren

Prof. Dr. Dirk Lanzerath, Direktor des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE), im Hypothese-Podcast der Uni Bonn

Prüfungsstress, Lampenfieber und Trauer nach einem Todesfall: Neigt unsere Gesellschaft dazu, solche Probleme wie eine Erkrankung mit Medikamenten kurieren zu wollen? Diese Frage treibt Prof. Dr. Dirk Lanzerath, Direktor des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) an der Universität Bonn, um. In der neuen Folge des Hypothese-Podcasts diskutiert er mit Moderator Denis Nasser die These „Wir neigen dazu, unsere Probleme zu medikamentieren“.

Wer Prüfungsstress oder Lampenfieber hat, versucht dies teils mit Betablockern in den Griff zu bekommen. Wer wenige Wochen nach einem Todesfall noch trauert, dem wird unter Umständen eine Depression diagnostiziert und entsprechend medikamentös behandelt. Dies bezeichnet Prof. Dirk Lanzerath als „Medikalisierung“ eines lebensweltlichen Problems: Obwohl es nicht in erster Linie mit Medizin zu tun hat, wird versucht, es mit medizinischer Hilfe zu lösen.

„Natürlich ist es richtig, diese Probleme in den Griff zu bekommen und Hilfe anzubieten“, sagt Lanzerath. „Wir müssen aber aufpassen, dass nicht jedes soziale Problem zu einem medizinischen wird.“ Medikalisierung allein werde der Komplexität unserer Gesellschaft nicht gerecht und schränke unsere Möglichkeiten ein, nach Ursachen und passenden Lösungen zu suchen.

„Die Aussicht, ein Problem durch ein Medikament schnell und einfach zu lösen, erscheint bequem“, sagt Lanzerath. Denn natürlich ist es aufwendiger, etwa seine Ernährung umzustellen oder Sport zu treiben, als morgens eine Pille zu nehmen. Auch Trauer nach einem Todesfall werde heute viel früher als Depression angesehen und behandelt. „Wir sind eine Gesellschaft, in der wir funktionieren müssen. Deshalb wollen wir solche negativen Gefühle loswerden.“ Dabei gilt: Trauern erfüllt eine wichtige Funktion.

In der neuen Folge des Hypothese-Podcasts diskutiert Prof. Dr. Dirk Lanzerath mit Moderator Denis Nasser die These „Wir neigen dazu, unsere Probleme zu medikamentieren“. Ob der Wissenschaftler sie verifiziert (als wahr bestätigt) oder falsifiziert (widerlegt), hören Sie hier: https://www.uni-bonn.de/de/neues/hypothese-wir-neigen-dazu-unsere-probleme-zu-medikamentieren

Zur Person

Dirk Lanzerath leitet seit 2022 das Deutsche Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (DRZE) und ist seit 2002 dessen Geschäftsführer. Das DRZE ist eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Bonn und Arbeitsstelle der Akademie der Wissenschaften und der Künste des Landes Nordrhein-Westfalen. 2024 ist er zum Vorsitzenden der Ethikkommission der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) gewählt worden sowie für die Amtsperiode 2023-25 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer (ZEKO). Seit 2012 ist er Mitglied des Vorstands und Generalsekretär des Europäischen Netzwerks der Forschungsethikkommissionen (EUREC).