Das GesundheitsPortal für innovative Arzneimittel, neue Therapien und neue Heilungschancen

Gehirn wählt visuelle Objekte nach bestimmtem Mechanismus aus

Was uns ins Auge fällt

Der unbewusste Blick wird von einem automatischen Auswahlprozess gelenkt, für den ein neuronales Netzwerk im Gehirn verantwortlich ist. Eine Studie eines internationalen Teams unter Mitarbeit der Technischen Universität München (TUM) belegt dies nun. Für die Entwicklung von Robotern könnte diese Erkenntnis bald wichtig sein.

Beinahe ständig sind wir von vielen visuellen Objekten umgeben, die alle prinzipiell für uns wichtig sein könnten. Aber wir haben nur einen sehr kleinen Bereich auf der Netzhaut, die Netzhautgrube im gelben Fleck (Fovea), die scharfes Sehen erlaubt, der größte Teil unseres Blickfeldes hat nur eine geringe Auflösung. Der Blick muss daher gezielt auf etwas gerichtet werden, um das Objekt genau zu erkennen.

Unbewusste Entscheidung für das, was wir ansehen

Doch welche Funktionalität entscheidet, worauf wir unseren Blick werfen, wenn wir nicht etwas Bestimmtes suchen und zunächst nicht wissen, wohin wir schauen sollen? Diese Frage stellten sich Wissenschaftler des Lehrstuhls für Zoologie am Wissenschaftszentrum Weihenstephan der Technischen Universität München zusammen mit chilenischen und amerikanischen Kolleginnen und Kollegen.

„Es wird eine unbewusste Entscheidung getroffen – Gegenstand unserer Studie war es, diesen Auswahlprozess genau zu untersuchen“, berichtet Prof. Harald Luksch vom Lehrstuhl für Zoologie an der TUM, der gleichzeitig auch das Bionik-Zentrum der TUM leitet. Für diese Aufmerksamkeitssteuerung wird das Sehfeld ausgewertet und ausgewählt, wohin die Fovea als nächstes gerichtet wird. „Ein neuronales Netzwerk führt den Auswahlprozess durch, das sogenannte Isthmische System“, erklärt Zoologe Luksch. Weil dieses Netzwerk bei Vögeln sehr gut untersucht und anatomisch verstanden ist, wurde die Studie an Hühnern und zum Teil an isoliertem Gehirngewebe (in vitro) durchgeführt.

Manche Reize werden unterdrückt, andere verstärkt

„Wir konnten zeigen, dass einzelne Nervenzellen des visuellen Mittelhirns parallele Verbindungen zu drei Kerngebieten des Gehirns aufbauen“, fasst Prof. Luksch das Ergebnis zusammen – „die jeweils eigene Rückkoppelungsschleifen mit dem visuellen Mittelhirn aufbauen.“

Dabei wurden bei der Rückkopplung einerseits die visuellen Reize verstärkt, andererseits unterdrückt. So wird unbewusst eine Auswahl getroffen. „Überraschend für uns war, dass die verschiedenen Rückkoppelungsschleifen – verstärkende und hemmende – von ein und derselben Zelle angestoßen werden“, beschreibt Luksch. „Davor ging die Wissenschaft davon aus, dass es sich um unterschiedliche Zellen handelt.“ Eine einzige Zelle steuert folglich ganz unterschiedliche Prozesse, allerdings zeitversetzt.
Automatisierte Aufmerksamkeitssteuerung

Die Studie ist nicht nur wichtig für die Grundlagenforschung: „Die gleichen Mechanismen, die dies beim Tier leisten, betreffen genauso den Menschen“, sagt Harald Luksch. Damit ließe sich besser verstehen, wie unsere Wahrnehmung und Aufmerksamkeit gesteuert werden, was wiederum in enger Verbindung zu unserem Bewusstsein steht – eines der spannendsten Gebiete der Neurowissenschaften.

Weil sich die Aktivitäten der Nervenzellen beim nun erforschten Auswahlprozess wie ein technischer Schaltkreis darstellen lassen, könnten sich diese intelligent evolvierten Mechanismen im Tierreich auch für Roboter umsetzen lassen. Gerade für die Interaktivität mit Menschen, etwa bei der Pflege, sei es notwendig, dass Roboter ähnlich reagieren wie Organismen. Die zukünftige Bedeutung dieser Ergebnisse sieht Harald Luksch daher in der bionischen Übertragung auf technische Systeme.

Publikation:

Garrido-Charad, F.; Vega-Zuniga,  T.; Gutiérrez-Ibáñez, C.; Fernandez, P.; Lopez-Jury, L.; González-Cabrera, C.; J. Karten, H.; Luksch, H. and J. Marín, G.: “Shepherd´s crook“ neurons drive and synchronize the enhancing and suppressive mechanisms of the midbrain stimulus selection network, Proceedings of the National Academy of Sciences, 07/2018. DOI: doi.org/10.1073/pnas.1804517115