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Ernährung kann innere Uhr und hormonelle Reaktionen beeinflussen

Erstmals zeigt eine Studie unter der Leitung des Helmholtz Zentrums München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), auf welche Art und Weise Glukokortikoidhormone wie Cortisol, den Zucker- und Fettspiegel steuern. Dabei wurde insbesondere der Unterschied zwischen Tag und Nacht, Nahrungsaufnahme und Fasten sowie Ruhe und Aktivität über einen Zeitraum von 24 Stunden beobachtet. Die Forschungsarbeiten an Mäusen machen deutlich, dass sich der tageszeitabhängige Stoffwechselzyklus durch eine kalorienreiche Ernährung verändert. Da Glukokortikoide häufig zur Behandlung von Entzündungskrankheiten eingesetzt werden, deuten die veröffentlichten Ergebnisse im Journal ‚Molecular Cell‘ darauf hin, dass schlanke und adipöse Patienten unterschiedlich auf die Therapie mit Steroiden reagieren könnten. Des Weiteren verdeutlicht die Studie die biologische Funktion des täglichen Rhythmus der Hormonausschüttung – hoch vor dem Aufwachen und der Nahrungsaufnahme, niedrig beim Schlafen und Fasten – sowie die täglichen Zyklen der Zucker- und Fettspeicherung bzw. -freisetzung durch die Leber.

Jede Zelle im menschlichen Körper wird von einer inneren Uhr angetrieben, die dem zirkadianen Rhythmus von 24 Stunden folgt. Sie verläuft synchron zum natürlichen Zyklus von Tag und Nacht, hauptsächlich gesteuert durch Sonnenlicht, aber auch durch soziale Gewohnheiten. In einem gesunden System produziert die Nebenniere jeden Morgen Glukokortikoidstresshormone. Die Freisetzung von hohen Mengen an Glukokortikoid vor dem Aufwachen veranlasst den Körper, Fettsäuren und Zucker als Energiequellen zu nutzen. Dies ermöglicht es uns, in den Tag zu starten. Bei Störungen des zirkadianen Rhythmus (z.B. durch Schichtarbeit oder Jetlag) und/oder bei Veränderungen des Glukokortikoidspiegels (z.B. durch das Cushing-Syndrom oder langfristige klinische Behandlung) können schwerwiegende metabolische Dysregulationen wie Fettleibigkeit, Typ-2-Diabetes oder Fettlebererkrankungen auftreten. Ziel des Forschungsteams war es daher, die Bedeutung der täglichen Ausschüttung großer Mengen an Stresshormonen, den Einfluss dieser Hormone auf unsere innere Uhr und ihre Rolle für die täglichen Stoffwechselzyklen zu verstehen.

Stoffwechselvorgänge von Glukokortikoiden in der Leber

Um die metabolischen Funktionen der Glukokortikoide in der Leber zu untersuchen, charakterisierten die Forschenden die Aktivität ihres Rezeptors, des so genannten Glukokortikoidrezeptors, mit neuen Hochdurchsatz-Technologien. Alle vier Stunden, Tag und Nacht, analysierten sie die Leber von Mäusen. Die Mäuse wurden entweder mit normaler oder fettreicher Nahrung gefüttert. Mit Hilfe modernster Verfahren aus der Genomik, Proteomik und Bioinformatik konnte das Team sich dann ein Bild davon machen, wann und wo der Glukokortikoidrezeptor seine metabolische Wirkung entfaltet.

Die Forschenden analysierten die Auswirkungen der täglichen Schwankungen der Glukokortikoidfreisetzung im 24-Stunden-Zyklus des Leberstoffwechsels. Sie konnten veranschaulichen, wie Glukokortikoide den Stoffwechsel beim Fasten (wenn die Mäuse schlafen) und bei der Nahrungsaufnahme (wenn sie aktiv sind) durch zeitabhängige Bindung an das Genom unterschiedlich regeln. Die Studie zeigt außerdem, wie die Mehrheit der rhythmischen Genaktivität durch diese Hormone gesteuert wird. Bei Verlust dieser Kontrolle (bei sogenannten Knockout-Mäusen) wirkt sich dies auf die Zucker- und Fettwerte im Blut aus. Dies erklärt, wie die Leber den Zucker- und Fettgehalt im Blut bei Tag und Nacht unterschiedlich steuert.

Da der Glukokortikoidrezeptor in der Immuntherapie häufig zum Einsatz kommt, untersuchte das Team in einem nächsten Schritt seine genomischen Auswirkungen nach der Injektion des Wirkstoffs Dexamethason, einem synthetischen Glukokortikoid, das auch diesen Rezeptor aktiviert. „Mit diesem Experiment“, erklärt Dr. Fabiana Quagliarini, „fanden wir heraus, dass sich die Wirkstoffreaktion bei fettleibigen Mäusen von der bei schlanken Mäusen unterscheidet. Damit konnten wir zum ersten Mal zeigen, dass die Ernährung die hormonellen und medikamentösen Reaktionen des Stoffwechsels verändern kann.“

Neue Erkenntnisse für die Chronomedizin und die Therapie von Stoffwechselerkrankungen

Glukokortikoide sind eine Gruppe von natürlichen und synthetischen Steroidhormonen wie Cortisol. Sie besitzen hochwirksame entzündungshemmende und immunsuppressive Eigenschaften, die die Aktivität des Immunsystems kontrollieren können. Daher werden sie in der Medizin weithin genutzt. Der größte Nachteil dabei ist, dass Glukokortikoide aufgrund ihrer Fähigkeit, den Zucker- und Fettstoffwechsel zu regulieren, auch schwere Nebenwirkungen verursachen können: Die Patienten können Fettleibigkeit, Hypertriglyceridämie, Fettleber, Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes entwickeln.

„Wenn wir verstehen, wie Glukokortikoide die 24-Stunden-Zyklen der Genaktivität in der Leber und damit den Zucker- und Fettspiegel im Blut kontrollieren, gewinnen wir neue Erkenntnisse für die ‚Chronomedizin‘ und die Entwicklung von Stoffwechselerkrankungen. Wir konnten einen neuen Zusammenhang zwischen Lebensstil, Hormonen und Physiologie auf molekularer Ebene beschreiben. Dieser deutet darauf hin, dass adipöse Menschen unterschiedlich auf die tägliche Hormonausschüttung oder auf Glukokortikoidpräparate reagieren könnten. Diese Mechanismen sind die Grundlage für die Entwicklung künftiger Therapien“, verdeutlicht Prof. Henriette Uhlenhaut.

Uhlenhaut leitete das Forschungsteam der Institute für Diabetes und Adipositas sowie Diabetes und Krebs am Helmholtz Zentrum München, dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD), dem Max-Planck-Institut für Biochemie, der Northwestern University Feinberg School of Medicine in Chicago und der School of Life Sciences Weihenstephan an der Technischen Universität München (TUM).

Originalpublikation
Quagliarini et al., 2019: Cistromic reprogramming of the diurnal glucocorticoid hormone response by high-fat diet. Molecuar Cell, DOI:

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.500 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 19 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.

Das Institut für Diabetes und Krebs (IDC) ist Mitglied des Helmholtz Diabetes Zentrums (HDC) am Helmholtz Zentrum München und Partner im gemeinsamen Heidelberg-IDC Translationalen Diabetes-Programm. Das Institut für Diabetes und Krebs ist eng in das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) und in den Sonderforschungsbereich (SFB) „Reaktive Metaboliten und Diabetische Komplikationen“ an der Medizinischen Universität Heidelberg integriert. Das IDC erforscht die molekularen Grundlagen schwerer metabolischer Erkrankungen, wie dem Metabolischen Syndrom und Typ 2 Diabetes, und deren Bedeutung für die Tumorentstehung und -progression.

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

Die Technische Universität München (TUM) ist mit rund 550 Professorinnen und Professoren, 41.000 Studierenden sowie 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit dem Campus TUM Asia in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.