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Aortenklappenersatz: Antikoagulation kontrolliert nicht alle Folgeprobleme

Nach einem Ersatz der Aortenklappen muss eine generelle Tendenz zu Thrombosen und Blutungen kontrolliert werden. Im Zentrum der vorgestellten Studien stand die Verhinderung von Blutgerinnseln an Aortenklappen. Zwei randomisierte, kontrollierte Studien am Inselspital, Universitätsspital Bern, der Universität Bern und weiteren internationalen Zentren verglichen zwei Behandlungsstrategien: Eine auf Faktor Xa-Hemmung beruhende Antikoagulation mit niedrig dosiertem Rivaroxaban und eine mit herkömmlicher Plättchenhemmung. Obschon die erste Strategie die Thrombosebildung an den implantierten Aortenklappensegeln erfolgreicher verhinderte, zeigten sich erhöhte klinische Risiken bei Patientinnen und Patienten, die zuvor ohne Antikoagulation waren. Die Gründe für die erhöhten Risiken waren nicht klar. Die Studie wurde vorzeitig eingestellt.

Verengungen (Stenosen) der Aortenklappen sind bei über 65-jährigen Personen mit mehr als 3% eine häufige Erscheinung. Bei schweren und symptomatischen Aortenklappenstenosen muss die Aortenklappe ersetzt werden, mit dem Ziel Lebenserwartung und Lebensqualität günstig zu beeinflussen. War früher ein aufwendiger chirurgischer Eingriff nötig, um die Aortenklappen chirurgisch zu ersetzen, so steht heute in vielen Fällen eine weitaus schonendere Methode zur Verfügung. Von der Leiste her wird die neue Aortenklappe via Hauptschlagader über einen Katheter eingebracht. Bei dieser Transkatheter Aortenklappen Implantation (TAVI) kann unter lokaler Anästhesie und am schlagenden Herzen gearbeitet werden. Am Inselspital wird dieser Eingriff im Jahr zwischen 400 und 500 Mal vorgenommen

Aortenklappenersatz und Blutgerinnsel

Sowohl bei chirurgisch als auch mittels TAVI eingepflanzten Aortenklappen, können sich in der Folge Blutgerinnsel bilden. Das können kleine Blutgerinnsel auf der strömungsabgewandten Seite des Aortenklappensegels (subklinische Aortenklappenthromben) sein. Auch Transitorischen Ischämische Attacken (TIA), umgangssprachlich Streifungen genannt u.a.m. kommen selten vor. In gewissen Fällen können die Blutgerinnsel die Beweglichkeit des Aortenklappensegels beeinträchtigen und so die Fliess- und Druckverhältnisse verändern. Wenn sich Teile der Gerinnsel lösen, können sie periphere Blutgefässe verstopfen (Thrombosen bilden).

Die Vermeidung bzw. Auflösung subklinischer Thromben auf den Aortenklappensegeln hat theoretisch zwei Ziele: Die Beweglichkeit des Klappensegels wiederherzustellen und die Verminderung des Thromboserisikos durch sich lösende Gerinnselteile. Die hier vorgestellten beiden Studien versuchen mit zwei unterschiedlichen Methoden, die Blutgerinnsel-Bildung an der Ersatzaortenklappe zu verhindern. Die Ergebnisse sind deshalb von besonderem Interesse, weil die an sich bessere Lösung auf Ebene der Aortenklappe mit unerwarteten klinischen Risiken verbunden war.

Zwei Strategien gewählt

Die mit der akademischen Führung der Studien beauftragten Forschenden des Inselspitals, Universitätsspital Bern, des Mount Sinai Hospital in New York und des Rigshospitalet, Kopenhagen stellten am Jahreskongress der American Heart Association am 16. November 2019 in Philadelphia zwei Studien vor. Diese wurden zeitgleich im New England Journal of Medicine publiziert.

In den beiden vorgestellten Studien wurden zwei Strategien der Blutverdünnung nach erfolgreicher TAVI einander gegenübergestellt. In der Gruppe Antikoagulation wurde niedrig dosiert Rivaroxaban gegeben (während der ersten 3 Monate in Kombination mit Aspirin, gefolgt von einer Rivaroxaban Monotherapie). Rivaroxaban ist ein Vertreter der sogenannten neuen oralen Antikoagulantien, der direkt über die eine Hemmung des Xa-Faktors die Blutgerinnung unterbindet. Bei Patienten mit Vorhofflimmern und anderen thromboembolischen Erkrankungen bewähren sich diese Faktor Xa-Hemmer sehr gut. Eine zweite Strategie wurde in der Gruppe Plättchenhemmung verfolgt in der Clopidogrel mit Aspirin während der ersten 3 Monate kombiniert wurde, gefolgt von einer Aspirin Monotherapie. Aspirin und Clopidogrel hemmen das Verklumpen von Blutplättchen (Thrombozytenaggregation).

Zwei entgegengesetzte Resultate

In einer Substudie zur grossen randomisierten GALILEO Studie fokussierten die Forschenden auf den Effekt der beiden Strategien auf die Blutgerinnsel am Aortenklappensegel mittels hochauflösenden CT Angiographiebildern. Bei den total betrachteten 231 Patientinnen und Patienten fanden sich nur 2.1% (2 von 97) Aortenklappensegel mit bedeutender Bewegungseinschränkung (Stufe 3) in der Gruppe Antikoagulation und 10.9% (11 von 101) bei der Gruppe Plättchenhemmung. Eine Verdickung von mindestens einem Segel trat bei 12.4% (12 aus 97) in der Gruppe Antikoagulation auf. In der Gruppe Plättchenhemmung trat dieses Problem dagegen bei 32.4% (33 aus 102). Mit dem Fokus Aortenklappensegel schnitt also die Gruppe Antikoagulation mit Rivaroxaban deutlich besser ab.

Eine zweite Studie galt der klinischen Testung der Rivaroxaban-Strategie im Speziellen. Es galt die Frage zu klären, ob mittels direkter Faktor-Xa–Inhibition klinische Ereignisse (Tod und Embolien aus Blutgerinnseln) nach einer erfolgreichen TAVI wirksam vermieden werden können. Es wurden 1644 Patientinnen und Patienten zufällig den beiden Gruppen zugeteilt. Alle Patientinnen und Patienten hatten zuvor keine Indikation für eine Antikoagulation. Betrachtet wurden Todesfälle und Fälle von grösseren Thromboembolien. Als Sicherheitskriterium wurden schwere bis lebensbedrohliche Ereignisse von Blutungen untersucht. Es zeigte sich, dass die Gruppe Antikoagulation in beiden Kriterien schlechter abschnitt, als die Gruppe Plättchenhemmung. Die Gruppe Antikoagulation wies 1.35 Mal so viele Todesfälle und Thromboembolien auf wie die Gruppe Plättchenhemmung. Bei den Blutungen war das Verhältnis 1:1.5. Aufgrund des erhöhten Risikos wurde die Studie frühzeitig abgebrochen.

Was ist daraus zu lernen?

Zunächst gilt es herauszufinden, wieweit die Todesfälle und Thromboembolien mit der gewählten Behandlungsstrategie im Zusammenhang stehen. Eine erste Überprüfung zeigte, dass die Mehrzahl der Todesfälle einer nicht-kardialen Ursache geschuldet war. Es gilt auch zu klären, welche Mechanismen genau dazu führten, dass Aortenklappen mit geringerer Bewegungseinschränkung und fehlenden Blutgerinnseln gleichwohl schlechtere klinische Ergebnisse zeitigten als die Vergleichsgruppe. Weiter kann den Resultaten entnommen werden, wie wichtig klinische Forschung für die Medizin ist. Erst der Test im komplexen Umfeld der klinischen Realität gibt gültig Auskunft über Nutzen und Risiken einer Therapie.

Experte: 

– Prof. Dr. med. Stephan Windecker, Direktor Universitätsklinik für Kardiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern

Studien:

De Backer Ole, Dangas George D., Jilaihawi Hasan, Leipsic Jonathon A., Terkelsen Christian J., Makkar Raj, Kini Annapoorna S., Veien Karsten T., Abdel-Wahab Mohamed, Kim Won-Keun, Balan Prakash, Van Mieghem Nicolas, Mathiassen Ole N., Jeger Raban V., Arnold Martin, Mehran Roxana, Guimarães Ana H.C., Nørgaard Bjarne L., Kofoed Klaus F., Blanke Philipp, Windecker Stephan, Søndergaard Lars. (2019) Reduced Leaflet Motion after Transcatheter Aortic-Valve Replacement. N Engl J Med DOI: 10.1056/NEJMoa1911426.

Dangas George D., Tijssen Jan G.P., Wöhrle Jochen, Søndergaard Lars, Gilard Martine, Möllmann Helge, Makkar Raj R., Herrmann Howard C., Giustino Gennaro, Baldus Stephan, De Backer Ole, Guimarães Ana H.C., Gullestad Lars, Kini Annapoorna, von Lewinski Dirk, Mack Michael, Moreno Raúl, Schäfer Ulrich, Seeger Julia, Tchétché Didier, Thomitzek Karen, Valgimigli Marco, Vranckx Pascal, Welsh Robert C., Wildgoose Peter, Volkl Albert A., Zazula Ana, van Amsterdam Ronald G.M., Mehran Roxana, Windecker Stephan. (2019) A Controlled Trial of Rivaroxaban after Transcatheter Aortic-Valve Replacement. N Engl J Med DOI: 10.1056/NEJMoa1911425.

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