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Mit Mini-Därmen funktionelle Unterschiede und Schwachstellen von Darmkrebs aufspüren

Darmkrebs zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass es große Unterschiede zwischen den Tumoren einzelner Patienten gibt – auf genetischer Ebene und daher auch beim Ansprechen auf die Therapie. Forscher des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) haben eine Methode entwickelt, um diese Unterschiede besser identifizieren zu können. Sie nutzen für ihre Untersuchungen im Labor gezüchtete Mini-Därme, um unter Bedingungen zu arbeiten, die denen im Patienten möglichst nahekommen. An diesen „Organoiden“ führen sie eine Vielzahl von parallelen Experimenten durch, was die Vergleichbarkeit der Ergebnisse erhöht.

Im DKTK verbindet sich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitären Partnerstandorten in Deutschland.

Um Krebserkrankungen zielgerichtet behandeln zu können, bedarf es eines möglichst exakten Wissens über den Tumor. Nur so lässt sich die erhoffte Wirkung erzielen. Gerade bei Darmkrebs ist bekannt, dass es große genetische Unterschiede gibt, die den Tumoren individueller Patienten höchst vielfältige Eigenschaften verleihen. Dazu zählt auch, ob erfolgversprechende Angriffspunkte für die Behandlung vorhanden sind, welche Wirkstoffe am besten wirken und welche Therapieresistenzen zu befürchten sind.

„Um die Tumoren individueller Patienten genauer zu untersuchen, haben Mediziner bislang darauf gesetzt, Tumorzellen zu isolieren und in Kultur zu nehmen“, sagt DKTK-Forscher Henner Farin. „Das ist jedoch nicht bei jedem Tumor erfolgreich, außerdem resultieren daraus Zelllinien, die mit dem Original-Tumor nicht mehr viel gemeinsam haben.“ Eine Aussage über die individuellen Eigenschaften eines Tumors zu machen, ist anhand solcher Zellkulturen daher schwierig.

Farin geht mit seinen Kollegen am Georg-Speyer-Haus in Frankfurt daher einen anderen Weg. Er hat ein Zellkultur-Modell etabliert, mit dem sich im Labor „Mini-Därme“ züchten lassen, so genannte Organoide. Dabei handelt es sich um dreidimensionale Zellkulturen, die in ihrer Struktur und essentiellen Funktion dem Vorbild sehr nahekommen. „Solche Organoide kommen beispielsweise in der Pharmakologie zum Einsatz, um Wirkstoffe zu testen“, erklärt Farin. „Wir nutzen sie, um die genetischen Unterschiede zwischen individuellen Tumoren detailliert zu untersuchen und herauszufinden, was das für ihre Eigenschaften bedeutet.“

In der aktuellen Untersuchung haben die Wissenschaftler mit Hilfe der CRISPR-Cas9-Technologie in den Organoiden Tumor-Suppressorgene ausgeschaltet. Dabei handelt es sich um die „Krebsbremsen“, die normalerweise dafür sorgen, dass mutierte Zellen absterben und es gar nicht erst zur Tumorentstehung kommen kann. Ein Verlust dieser Tumor-Suppressorgene hat krebsfördernde Wirkung. Statt die Auswirkung der Krebsbremsen in aufwändigen Testreihen einzeln zu prüfen, erstellen die Wissenschaftler aus Farins Team Bibliotheken, mit deren Hilfe sich der Verlust einer ganzen Reihe von Tumor-Suppressorgenen gleichzeitig untersuchen lässt.

Dabei trägt jede Zelle einen individuellen DNA-Barcode, der parallel ausgelesen wird. So lässt sich etwa ermitteln, welche genetischen Veränderungen dazu führen, dass Krebszellen gegenüber einer Therapieform unempfindlich sind. „Der Vergleich mehrerer Tumor-Suppressorgene in einem einzelnen Ansatz erhöht den Durchsatz und stellt dabei sicher, dass alle Gene unter denselben Bedingungen und somit unvoreingenommen untersucht werden können“, so Farin.

Um die Eigenschaften der Tumor-Suppressorgene nicht nur in der Kulturschale zu untersuchen, transplantierten die Wissenschaftler ihre Organoide in einem weiteren Experiment in Mäuse. „Auf diese Weise haben wir ein Modellsystem entwickelt, das der Situation im Patienten so nahe wie möglich kommt“, erklärt Farin. Mit diesem System lässt sich überprüfen, ob der Verlust von Tumor-Suppressorgenen auch im lebenden Organismus zu einem Wachstumsvorteil für die Krebszellen führt.

„Wir haben mit den Organoiden in Kombination mit den CRISPR/Cas9-Bibliotheken eine Technologie in der Hand, mit denen wir die patientenspezifischen Tumoreigenschaften untersuchen können“, so Farin und ergänzt: „Das erlaubt uns, die individuellen Schwachstellen eines Tumors zu identifizieren, gegen die sich eine erfolgreiche Therapie richten kann.“ Damit kann das Organoid-System zu einem wichtigen Hilfsmittel für die personalisierte Medizin werden.

Birgitta E. Michels, Mohammed H. Mosa, Barbara I. Streibl, Tianzuo Zhan, Constantin Menche, Khalil Abou-El-Ardat, Tahmineh Darvishi, Ewelina Członka, Sebastian Wagner, Jan Winter, Hind Medyouf, Michael Boutros und Henner F. Farin. Pooled in vitro and in vivo CRISPR-Cas9 screening identifies tumor suppressors in human colon organoids. Cell Stem Cell 2020,
https://doi.org/10.1016/j.stem.2020.04.003

Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) ist eine gemeinsame, langfristige Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der beteiligten Bundesländer und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und wurde als eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZGs) gegründet. Im DKTK verbindet sich das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitären Partnerstandorten und Kliniken in Deutschland. Mit dem DKFZ kooperieren Forschungseinrichtungen und Kliniken an Standorten Berlin, Dresden, Essen/Düsseldorf, Frankfurt/Mainz, Freiburg, Heidelberg, München und Tübingen, um optimale Bedingungen für die kliniknahe Krebsforschung zu schaffen. Das Konsortium fördert interdisziplinäre Forschungsthemen an der Schnittstelle zwischen Grundlagenforschung und Klinik, sowie klinische Studien zu innovativen Therapie- und Diagnoseverfahren. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Aufbau von Forschungsplattformen, um den Einsatz personalisierter Krebstherapien zu beschleunigen und die Diagnose und Prävention von Krebserkrankungen zu verbessern.

Weitere Informationen unter www.dktk.org