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Neue Hoffnung für Alzheimer-Patienten: Positive Signale für den Einsatz eines Krebsmedikaments

Die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung stagniert trotz des großen Wissenszuwachses der letzten Jahre und der Entwicklung neuer Medikamente. Hoffnungsvolle Therapieansätze enttäuschten in der klinischen Prüfung. Eine Phase-2-Studie gibt nun ein positives Signal für den Einsatz von Nilotinib, eigentlich ein Krebsmedikament, zur Behandlung der Alzheimer-Erkrankung. Demnach kann die Substanz bei Alzheimer-Patienten die pathologischen Proteinablagerungen im Gehirn reduzieren.

Nilotinib wird bereits für die Behandlung einer bestimmten Form der Leukämie eingesetzt. Nilotinb ist ein sogenannter Tyrosinkinase-Inhibitor und blockiert bestimmte Schritte im Stoffwechsel der Krebszellen und hemmt ihr Wachstum. Bei der Alzheimer-Erkrankung, einer chronischen neurodegenerativen Erkrankung, kommt es zur Produktion von fehlerhaften bzw. fehlgefalteten Proteinen (Beta-Amyloid, Tau-Protein), welche sich im Gehirn der Betroffenen in Form von Plaques oder als faserartige Fibrillen ablagern.

Im Alzheimer-Tiermodell reduzierte Nilotinib die Proteinablagerungen und fördert deren Abbau. In einer klinischen Phase-II-Studie wurden nun randomisiert, doppelblind und placebokontrolliert die Sicherheit und Verträglichkeit der Substanz sowie ihre Pharmakokinetik bzw. die Wirkung auf verschiedene Alzheimer-Biomarker untersucht. 37 Patienten (davon 27 Frauen) zwischen 50 und 85 Jahren (im Mittel 70,7±6,48 Jahre) mit leicht bis mittelgradiger Alzheimer-Demenz wurden zunächst für mindestens einen Monat stabil auf eine einheitliche medikamentöse Therapie eingestellt (Acetylcholinesterase-Hemmer, Galantamin, Rivastigmin oder Donepezil). Es erfolgten Ausgangsuntersuchungen des Gehirns (Positronen-Emissions-Tomographie und MRT) sowie der Rückenmarksflüssigkeit (Liquor). Die Patienten wurden 1:1 in zwei Gruppen randomisiert und erhielten über 26 Wochen entweder einmal täglich oral 150 mg Nilotinib, gefolgt von 300 mg täglich für weitere 26 Wochen – oder Placebo.

Im Ergebnis zeigte die PET-Bildgebung, dass in der Nilotinib-Gruppe die Amyloid-Plaques im Frontallappen des Gehirns gegenüber der Placebogruppe signifikant zurückgegangen waren. Im Liquor waren relevante Konzentrationen von Nilotinib nachweisbar; außerdem sanken die Konzentration von Beta-Amyloid-40 bereits nach sechs Monaten und von Beta-Amyloid-42 nach 12 Monaten deutlich ab. Auch die Tau-Protein-Menge („Phospho-Tau-181“) war nach sechs und 12 Monaten rückläufig und der Volumenverlust des Hippocampus,einee Hirnregion die für das Gedächnis wichtig ist, war im MRT-Bild nach 12 Monaten um 27% geringer ausgeprägt als in der Placebogruppe. Nilotinib wurde gut vertragen, mit 300 mg gab es mehr Nebenwirkungen (besonders Stimmungsschwankungen) als mit 150 mg. Schwere unerwünschte Ereignisse gab es in der Nilotinib-Gruppe nicht, in der Placebogruppe traten bei drei Patienten insgesamt fünf Ereignisse auf (Rhabdomyolyse, Bronchitis, Hypotonie, Schwindelattacke). Schwere kardiale Nebenwirkungen (wie sie in der Onkologie unter 600 mg/d beschrieben sind) gab es nicht. Orientierende klinische Tests wie der MMST („Mini-Mental-Status-Test“) und ADAS-Cog („Alzheimer’s Disease Assessment Scale“) zur Objektivierung kognitiver Fähigkeiten (Orientierung, Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit / Rechenfähigkeit, Sprache) zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen, jedoch eine Tendenz zu besseren Werten in der Nilotinib-Gruppe.

„Diese relativ kleine Studie hat zunächst in erster Linie Sicherheit, Verträglichkeit und Effekte von Nilotinib auf Alzheimer-Biomarker untersucht – und das erfolgreich“, so Prof. Dr. Richard Dodel, Geriater und Neurologe an der Universität Duisburg-Essen. „Die Studie hatte jedoch zu wenige Patienten bzw. war gar nicht dazu konzipiert, um eine Verlaufsbeurteilung der Demenz zu ermöglichen. Dennoch hoffen wir darauf, dass sich der positive Trend hinsichtlich der kognitiven Tests künftig in großen klinischen Studien bestätigen lässt. Möglicherweise muss man die Patienten auch in noch früheren Erkrankungsstadien behandeln, um langfristig krankheitsmodifizierende Vorteile zu sehen.“

„Nach den negativen Ausgang von Studien zu verschiedenen, zunächst sehr hoffnungsvollen Therapieansätzen ist diese Studie ein positives Signal für die Alzheimer-Forschung. Angesichts der steigenden Zahlen der Betroffenen, stehen wir im Wettlauf mit der Zeit. Eine wirksame Therapie, die die Progression der Erkrankung aufhält, wäre ein Segen für die gesamte Menschheit“, erklärt Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

Originalpublikation:

Turner RS, Hebron ML, Lawler A et al. Nilotinib Effects on Safety, Tolerability, and Biomarkers in Alzheimer’s Disease. Ann Neurol 2020; 88: 183–194 https://doi.org/10.1002/ana.25775