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Feinstaub ist gefährlicher als gedacht

Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI haben erstmals die fotochemischen Vorgänge im Innern kleinster Partikel in der Luft beobachtet. Dabei entdeckten sie, dass sich in diesen Aerosolen unter alltäglichen Bedingungen zusätzliche Sauerstoffradikale bilden, die der menschlichen Gesundheit schaden können. Über ihre Ergebnisse berichten sie heute im Fachjournal Nature Communications.

Dass Feinstaub die Gesundheit gefährden kann, ist bekannt. Die Partikel mit einem maximalen Durchmesser von 10 Mikrometern können tief ins Lungengewebe vordringen und sich dort festsetzen. Sie enthalten reaktive Sauerstoffverbindungen (ROS), auch „Sauerstoffradikale“ genannt, die die Zellen der Lunge schädigen können. Je mehr Partikel in der Luft schweben, desto höher das Risiko. Die Partikel gelangen zwar auch aus natürlichen Quellen wie Wäldern oder Vulkanen in die Luft. Doch menschliche Aktivitäten, beispielsweise in Fabriken und Verkehr, vervielfachen die Menge, sodass bedenkliche Konzentrationen erreicht werden. Das Potenzial des Feinstaubs, Sauerstoffradikale in die Lunge zu bringen oder dort zu erzeugen, ist für verschiedene Quellen bereits untersucht worden. Die PSI-Forschenden haben dazu nun wichtige neue Erkenntnisse gewonnen.

Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass einige ROS im Körper des Menschen entstehen, wenn der Feinstaub sich in der Oberflächenflüssigkeit der Atemwege auflöst. Feinstaub enthält in der Regel chemische Bestandteile, etwa Metalle wie Kupfer und Eisen sowie bestimmte organische Verbindungen. Diese tauschen mit anderen Molekülen Sauerstoffatome aus und es entstehen sehr reaktionsfreudige Verbindungen wie Wasserstoffperoxid (H2O2), Hydroxyl (HO) oder Hydroperoxyl (HO2), die sogenannten oxidativen Stress verursachen. So greifen sie zum Beispiel die ungesättigten Fettsäuren im Körper an, die dann nicht mehr als Bausteine der Zellen dienen können. Auf solche Vorgänge führen Mediziner Lungenentzündungen, Asthma und diverse andere Atemwegserkrankungen zurück. Selbst Krebs könnte ausgelöst werden, da die ROS auch die Erbsubstanz DNA schädigen können.

Neue Erkenntnisse dank einmaliger Gerätekombination

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass gewisse ROS-Spezies auch bereits im Feinstaub der Atmosphäre vorliegen und als sogenannte exogene ROS über die Atemluft in unseren Körper gelangen, ohne dass sie sich dort erst bilden müssen. Wie sich nun herausstellt, hat man dabei noch nicht genau genug hingesehen: «Bisherige Studien haben mit Massenspektometern analysiert, woraus Feinstaub besteht», erklärt Peter Aaron Alpert, Erstautor der neuen PSI-Studie. «Dabei erhält man aber keine Informationen über die Struktur der einzelnen Partikel und darüber, was in ihrem Inneren vorgeht.»

Alpert dagegen nutzte die Möglichkeiten des PSI für einen präziseren Blick: «Mit dem brillanten Röntgenlicht der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS konnten wir solche Partikel nicht nur einzeln mit einer Auflösung von unter einem Mikrometer betrachten, sondern sogar in sie hineinschauen, während Reaktionen darin ablaufen.» Dazu verwendete er auch eine neuartige, am PSI entwickelte Zelle, in der sich verschiedenste atmosphärische Umweltbedingungen simulieren lassen. Sie kann Temperatur, Feuchte sowie Gasexposition genau regulieren und eine UV-LED-Lichtquelle ahmt die Sonneneinstrahlung nach. «Diese Kombination – hochauflösendes Röntgenmikroskop und Zelle – gibt es nur einmal auf der Welt», sagt Alpert. Die Studie sei deshalb nur am PSI möglich gewesen. Eng zusammengearbeitet hat er dafür mit dem Leiter der Gruppe Oberflächenchemie am PSI, Markus Ammann. Unterstützt haben ihn ausserdem Forschende um die Atmosphärenchemiker Ulrich Krieger und Thomas Peter an der ETH Zürich, wo zusätzliche Experimente mit in der Schwebe gehaltenen Partikeln gemacht wurden, sowie Experten um Hartmut Hermann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig.

Wie sich gefährliche Verbindungen bilden

Die Forschenden untersuchten Partikel mit organischen Bestandteilen und Eisen. Das Eisen stammt aus natürlichen Quellen wie Wüstenstaub oder Vulkanasche, ist aber auch in Emissionen von Industrie und Verkehr enthalten. Die organischen Bestandteile resultieren ebenfalls aus natürlichen und menschgemachten Quellen. In der Atmosphäre verbinden sich diese Bestandteile zu Eisenkomplexen, die dann unter Sonneneinstrahlung zu sogenannten Radikalen reagieren. Diese wiederum binden allen verfügbaren Sauerstoff und produzieren so die ROS.

Normalerweise würde ein grösserer Teil dieser ROS in der Wärme der Sonne aus den Partikeln in die Luft diffundieren und keine Gefahr mehr bedeuten, wenn wir die Partikel einatmen, die dann weniger ROS enthalten. Stimmen die Bedingungen, reichern sich die Radikale jedoch im Inneren der Partikel an und verbrauchen dort binnen Sekunden den gesamten verfügbaren Sauerstoff. Und das liegt an der sogenannten Viskosität: Feinstaub kann fest wie Stein oder flüssig wie Wasser sein – aber je nach Temperatur und Feuchte auch zähflüssig wie Sirup, Kaugummi oder Schweizer Kräuterzucker. «Dieser Zustand des Partikels, so haben wir festgestellt, sorgt dafür, dass die ROS im Partikel gefangenbleiben», sagt Alpert. Und von aussen gelangt auch kein zusätzlicher Sauerstoff hinein.

Besonders erschreckend ist, dass sich durch das Zusammenspiel von Eisen und organischen Verbindungen die höchsten Konzentrationen der ROS bei alltäglichen Wetterbedingungen bilden: bei mittlerer Luftfeuchte von 50 Prozent und Temperaturen um die 20 Grad, wie sie etwa in Räumen herrschen. «Früher dachte man, dass ROS in der Luft – wenn überhaupt – nur dann entstehen, wenn die Feinstaubteilchen vergleichsweise seltene Verbindungen wie Chinone enthalten», sagt Alpert. Das sind oxidierte Phenole, die etwa in Farbstoffen von Pflanzen und Pilzen vorkommen. Seit Kurzem ist klar, dass viele weitere ROS-Quellen im Feinstaub vorhanden sind. «Wie wir nun feststellten, können diese bekannten ROS-Quellen unter völlig alltäglichen Bedingungen deutlich verstärkt werden.» Etwa jedes zwanzigste Partikel ist organisch und enthält Eisen.

Doch damit nicht genug: «Wir gehen davon aus, dass die gleichen fotochemischen Reaktionen auch in anderen Feinstaubpartikeln ablaufen», sagt Forschungsgruppenleiter Markus Ammann. «Wir vermuten sogar, dass nahezu alle Schwebeteilchen in der Luft auf diese Weise zusätzliche Radikale ausbilden», ergänzt Alpert. «Wenn sich dies in weiteren Studien bestätigt, müssen wir dringend unsere Modelle und Grenzwerte bezüglich der Luftqualität anpassen. Womöglich haben wir hier einen zusätzlichen Faktor dafür gefunden, dass so viele Menschen scheinbar ohne konkreten Anlass an Atemwegserkrankungen oder Krebs erkranken.»

Immerhin haben die ROS – zumal in Zeiten der COVID-19-Pandemie – auch ihr Gutes, wie die Studie ebenfalls nahelegt: Sie greifen auch Bakterien, Viren und andere Pathogene an, die auf den Aerosolen sitzen, und machen diese unschädlich. Dieser Zusammenhang könnte erklären, warum das Sars-CoV-2-Virus in der Luft bei Raumtemperatur und mittlerer Feuchte am kürzesten überlebt.
Text: Jan Berndorff

Über das PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2100 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 400 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

Originalpublikation:

Photolytic Radical Persistence due to Anoxia in Viscous Aerosol Particles
Peter A. Alpert, Jing Dou, Pablo Corral Arroyo, Frederic Schneider, Jacinta Xto, Beiping Luo, Thomas Peter, Thomas Huthwelker, Camelia N. Borca, Katja D. Henzler, Thomas Schaefer, Hartmut Herrmann, Jörg Raabe, Benjamin Watts, Ulrich K. Krieger, Markus Ammann
Nature Communications, 19.03.2021
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-021-21913-x