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Von Kontrastmitteln bis Drug Delivery: Forschung mit Neutronen ermöglicht Fortschritte für biomedizinische Forschung

Biokompatible Eisenoxid-Nanopartikel (engl. „iron oxide nanoparticles“, kurz (IONPs)) besitzen großes Potential für biomedizinische Anwendungen, sowohl für bildgebende als auch für therapeutische. Raschere Fortschritte bei der Erforschung von IONPs verspricht eine Kombination von Methoden, die ein Team um Jülicher Forscherinnen und -forscher entwickelte und die Neutronen als Sonde benutzt. Sie ermöglicht es erstmals, Ketten aus Eisenoxid-Nanopartikeln in Dispersionen direkt sichtbar zu machen. So lässt sich schneller und einfacher erkennen, wie Parameter wie Größe, Konzentration, Zusammensetzung und Magnetfeld die Entstehung der Gebilde durch Selbstorganisation beeinflussen. Direkt sichtbar waren die IONPs bisher nur unter dem Elektronenmikroskop. Dazu müssen sie jedoch auf einen Probenträger aufgebracht werden, der die Selbstorganisation beeinflussen kann.

Magnetische Nanopartikel können im Wesentlichen in drei biomedizinischen Bereichen eingesetzt werden: Bildgebung, Sensorik und Therapeutika. Als Kontrastmittel bei Untersuchungen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) etwa werden sie dazu genutzt, bestimmte Gewebestrukturen besser sichtbar zu machen. Für Labortests lassen sie sich mit Antigenen koppeln zum Nachweis von beispielsweise Antikörpern in Körperflüssigkeiten. Noch überwiegend im experimentellen Status befinden sich verschiedene therapeutische Ansätze: In Tumorgeweben können magnetische Partikel Krebszellen abtöten, wenn man sie mittels alternierender Magnetfelder in Rotation versetzt, wodurch Wärme entsteht. Gezielt an bestimmte Stellen im Körper transportiert können sie genau dort, wiederum durch Magnetfelder aktiviert, Wirkstoffe freigeben. Beide Verfahren bieten das Potential, durch ihre Zielgenauigkeit Nebenwirkungen gering zu halten.

Eine Herausforderung ist der gezielte Transport der Partikel an die gewünschte Stelle. Neben direkter Injektion der Teilchen an den Zielort oder ihrer Beschichtung mit organischen Substanzen, die nur an bestimmte Gewebe binden, besteht eine weitere Möglichkeit darin, die Nanoteilchen per Magnetfeld an die gewünschte Position zu manövrieren. Dafür eignen sich Aggregate der Partikel besser als einzelne Nanopartikel, da ihr magnetisches Moment größer ist, wodurch sie sich von kleineren Magnetfeldern steuern lassen. Gleichzeitig sind fadenförmige Aggregate vorteilhaft verglichen mit anderen Formen, da sich die dünnen, langen Gebilde besser in engen Strukturen bewegen können, wie Blutgefäßen.

Fein verteilt in einem Lösungsmittel können die Nanoteilchen sich unter geeigneten Bedingungen von selbst zu den fadenförmigen Ketten zusammenfinden. Wenn es keine räumliche Begrenzung gibt, die auf die Partikel einwirkt, bestimmen Parameter wie Größe, Konzentration und Zusammensetzung der Nanoteilchen sowie die Stärke eines angelegten Magnetfeldes über die Selbstorganisation. Die bisher einzige Methode, mit der die winzigen Ketten direkt sichtbar gemacht und ihre Entstehung verfolgt werden konnte, kam jedoch nicht ohne räumliche Begrenzung aus: Denn für elektronenmikroskopische Untersuchungen müssen Proben zwingend auf einen Träger aufgebracht werden, dessen Gitterstruktur eine räumliche Begrenzung darstellt und damit einen Einfluss haben kann auf die Selbstorganisation der IONPs.

Nun stellen Forscherinnen und Forscher des Forschungszentrums Jülich, der RWTH Aachen und weiterer deutscher und internationaler Forschungseinrichtungen einen neuen Ansatz vor, der die Ketten und ihre Entstehung direkt im Lösungsmittel und ohne räumliche Begrenzung sichtbar macht. Dazu kombinierten sie experimentelle Untersuchungen mittels Kleinwinkelneutronenstreuung mit umgekehrten Monte-Carlo-Simulationen. Kleinwinkelstreuung ermöglicht ähnlich hochauflösende Strukturuntersuchungen wie Elektronenmikroskopie, erzeugt jedoch Daten, die nicht intuitiv verständlich sind und mit aufwändigen Verfahren interpretiert werden müssen. Mit Hilfe der Simulationen lassen sich nun daraus direkt erkennbare Bilder der Partikelketten gewinnen.

„Bei der umgekehrten Monte-Carlo-Simulation handelt es sich um eine etablierte Methode, jedoch haben wir sie erstmals zur Interpretation von Daten aus Kleinwinkelstreuung genutzt“, berichtet Nileena Nandakumaran, Doktorandin am Jülich Centre for Neutron Science. Ihr Betreuer Dr. Mikhail Feygenson ergänzt: „Die Visualisierung von IONP-Aggregaten in Dispersionen im realen Raum bietet ein neuartiges Werkzeug für biomedizinische Forscher. Denn die Methode ermöglicht eine vergleichsweise einfache und schnelle Untersuchung des Verhaltens von IONPs in Lösung in einem breiten Parameterraum und eine eindeutige Extraktion der Parameter der Gleichgewichtsstrukturen. Auch die Untersuchung von geometrisch komplexeren Aggregaten aus IONPs ist damit möglich.“

Originalpublikation:

Unravelling Magnetic Nanochain Formation in Dispersion for In Vivo Applications;
Nileena Nandakumaran et al.;
Adv. Mater. 2021, 202008683, First published: 07 May 2021, DOI: 10.1002/adma.202008683

Weitere Informationen:

Jülich Centre for Neutron Science (JCNS)
Leistungsdaten des Neutronenkleinwinkelstreuinstruments 1 (KWS-1)
Leistungsdaten des Röntgenkleinwinkeldiffraktometers GALAXI (Gallium Anode Low-Angle X-ray Instrument)