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Leistungsverlust im Alter kann mithilfe Künstlicher Intelligenz präziser prognostiziert werden

Wie stark fällt der Leistungsabfall von Sportlern aus, wenn sie älter werden? Nicht nur für Sportler, die bis ins Seniorenalter aktiv bleiben wollen, ist diese Frage von Bedeutung. Bergita Ganse, Stiftungsprofessorin für innovative Implantatentwicklung (Frakturheilung) an der Saar-Uni, hat mit Kolleginnen und Kollegen der TU Darmstadt und der RWTH Aachen ein Berechnungsmodell entwickelt, das genauer ist als bisherige Modelle. Die Studie haben sie im Fachjournal „GeroScience“ veröffentlicht.

Die Meldungen über die erstaunlichsten körperlichen Leistungen alter Menschen sind fast schon alltäglich geworden. Es gibt 80-Jährige, die den Mount Everest erklimmen, ein 83-Jähriger ist ältester Teilnehmer beim Ironman auf Hawaii, wo es rund 226 Kilometer auf dem Rad, laufend und schwimmend zurückzulegen gilt. Und der älteste Marathonläufer der Welt kam mit sage und schreibe 101 Jahren ins Ziel – bisher.

Natürlich sind die Seniorensportler nicht so leistungsfähig wie junge Sportlerinnen und Sportler, die im Zenit ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit stehen. Zwischen dem Höchststand ihrer Leistungsfähigkeit und ihrem – immer noch erstaunlichen – Potenzial im hohen Alter liegen einige Jahrzehnte. Wie der Verlust in den dazwischenliegenden Jahrzehnten verläuft und wie schnell er vonstattengeht, hängt von vielen, sehr individuellen Faktoren ab. „Wir haben uns gefragt, ob es uns gelingen kann, die Leistungsfähigkeit eines Sportlers bis ins Seniorenalter hinein prognostizieren zu können, und zwar mit einer einzigen Messung“, erläutert Bergita Ganse, die an der Universität des Saarlandes die Werner Siemens-Stiftungsprofessur für innovative Implantatentwicklung (Frakturheilung) innehat. „Sind beispielsweise Sportler, die in jüngeren Jahren bessere Leistungen als andere erbrachten, auch im Alter leistungsstärker?“, nennt die Medizinerin einen Faktor, den man bisher nur schwer prognostizieren konnte. Für die Unfallchirurgin spielt der Leistungsabfall im Alterungsprozess deshalb eine so wichtige Rolle, weil eine große Zahl an Patienten im hohen Alter kaum noch Muskelmasse und Kraft aufweisen, und dadurch nicht nur im Alltag eingeschränkt sind, sondern sich auch viel schlechter von Verletzungen wie Knochenbrüchen erholen können. Es wäre wichtig, Menschen mit einem hohen Risiko dafür besser frühzeitig identifizieren und beraten zu können.

Mithilfe des Maschinellen Lernens, einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, haben Bergita Ganse sowie Christoph Hoog Antink (TU Darmstadt; Biomedizinisches Engineering) und Anne K. Braczynski (Neurologie; RWTH Aachen) ihre Ausgangshypothese überprüft, die tatsächlich bestätigt werden konnte. „Wir haben gezeigt, dass es möglich ist, die zukünftige Leistungsabnahme eines Sportlers auf der Grundlage Maschinellen Lernens mit nur einem Ausgangspunkt präziser vorherzusagen als mit bisherigen Methoden“, so Medizinerin Bergita Ganse.

Um ihre Hypothesen zu überprüfen, haben die Wissenschaftlerinnen aus dem Saarland und Aachen sowie ihr Kollege aus Darmstadt die Daten von fast 5.500 schwedischen Leichtathleten untersucht, deren sportliche Leistungen zwischen 1901 und 2021 in der „Swedish Veteran Athletics“-Datenbank sehr detailliert dokumentiert sind. Insgesamt rund 21.000 Datenpunkte haben sie in ihre Untersuchung einfließen lassen. Das heißt, jeder Leichtathlet hat im Mittel rund vier Ergebnisse in der Datenbank hinterlassen. Aufgrund des seit gut 100 Jahren fast unveränderten Reglements hat sich das Team um Bergita Ganse dazu entschlossen, ausschließlich Laufdisziplinen zu berücksichtigen. Wurfgeräte wie beim Speer- oder Diskuswurf beispielsweise werden in unterschiedlichen Gewichtsklassen verwendet; jüngere Athleten müssen meist etwas schwerere Geräte werfen, so dass sich damit die Vergleichbarkeit erschwert und eine Prognose des Leistungsabfalls schwieriger wird. Läufer hingegen laufen 100, 200, 800 Meter, egal, ob sie 23, 40 oder 70 Jahre alt sind.

Das zentrale Ergebnis der Studie ist nun, dass der Computer anhand der zehntausenden Daten ein Modell entwickeln konnte, das den Leistungsverlust eines individuellen Sportlers bis ins Seniorenalter hinein präziser vorhersagen kann als bisherige Modelle, die in etwa von einer linearen Abnahme der Leistungsfähigkeit ausgehen.

„Überrascht hat uns dabei die Feststellung, dass Athleten, die sehr leistungsstark und jung waren, relativ gesehen am meisten Leistungsabfall zu verzeichnen hatten, was auch auf ältere Athleten mit geringerer Ausgangsleistung zutrifft. Die niedrigste Abnahmerate haben wir bei leistungsstarken Athleten mit hohem Ausgangsalter festgestellt“, so Bergita Ganse. Ihre Erklärung: „Eine hohe Leistung bei hohem Ausgangsalter kann aus einem kontinuierlichen, lebenslangen Engagement in anderen Sportarten oder auch aus einer Kombination von gesunder Ernährung und guter genetischer Konstitution herrühren. Allerdings liegen uns dazu keine weiteren Daten vor, so dass dies im Bereich der Spekulation bleiben muss.“ Die zentrale Erkenntnis hingegen lautet sicher: Wer noch in fortgeschrittenerem Alter eine Top-Zeit in seiner Disziplin läuft, bleibt auch in noch höherem Alter leistungsfähiger als seine Altersgenossen. Es lohnt sich also auch im fortgeschrittenen Alter noch, mit dem Sporttreiben anzufangen.

Interessant sind diese Erkenntnisse insbesondere für die Altersforschung, die (alternden) Sportler selbst und die Sportverbände sowie die Versicherungswirtschaft, die mithilfe präziserer Prognosen der sportlichen Leistungsfähigkeit zum Beispiel bessere Präventionsangebote für die Versicherten entwickeln kann.

Die Studie wurde im renommierten Fachjournal GeroScience veröffentlicht:
Hoog Antink, C., Braczynski, A.K. & Ganse, B. Learning from machine learning: prediction of age-related athletic performance decline trajectories. GeroScience (2021)https://doi.org/10.1007/s11357-021-00411-4