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Neuartige KI-Methode verrät, wie Alzheimer-relevantes Enzym seine Ziele auswählt
Studie in „Nature Communications“ liefert Einblicke in das „Beuteschema“ einer molekularen Schere
Forschende des DZNE, der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und der Technischen Universität München (TUM) haben herausgefunden, dass das Enzym Gamma-Sekretase, das an der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung und Krebs beteiligt ist, seine Reaktionspartner nach einem komplexem Muster molekularer Merkmale auswählt. Ihre Studie, veröffentlicht im Fachjournal Nature Communications, bedient sich einer Kombination von Biochemie und „erklärbarer“ künstlicher Intelligenz (KI), um das Erkennungsprinzip des Enzyms zu entschlüsseln. Der neuartige Ansatz könnte dazu beitragen, die Rolle der Gamma-Sekretase bei Krankheiten besser zu verstehen und die Entwicklung von Medikamenten unterstützen.
Die Gamma-Sekretase ist ein Enzym aus der Gruppe der „Proteasen“, das eine wichtige Rolle bei Alzheimer und Krebs spielt. Es kommt in der Membran zahlreicher Zellen vor – so auch in Nervenzellen. Das Enzym zerschneidet dort – gleichsam einer Schere – andere membrangebundene Proteine. Im Kontext von Alzheimer geschieht dies mit dem sogenannten Amyloid-Vorläuferprotein. Das Enzym ist jedoch vielseitig: Es hat mehr als 150 bekannte Zielmoleküle, die auch als „Substrate” bezeichnet werden. Warum Gamma-Sekretase gerade diese Moleküle aufspaltet, war bislang rätselhaft. „Im Gegensatz zu den meisten Proteasen zielt die Gamma-Sekretase nicht auf ein klar definiertes Sequenzmotiv ab. Das macht es schwierig, ihre Reaktionspartner mit herkömmlichen computergestützten Methoden vorherzusagen“, sagt Prof. Harald Steiner, Forschungsgruppenleiter am DZNE und an der LMU.
Gemeinschaftliche Arbeit
Vor diesem Hintergrund bündelten Fachleute des DZNE, der LMU und der TUM ihre Kräfte. Das interdisziplinäre Team vereinte Expertise aus den Bereichen Bioinformatik, Membranbiochemie und Neurodegenerationsforschung. „Wir wollten herausfinden, was ein Protein zum Ziel der Gamma-Sekretase macht. Anstatt nach Mustern in der Proteinsequenz zu suchen, haben wir eine neuartige, KI-basierte Methode entwickelt. Wir nennen sie Comparative Physicochemical Profiling, kurz CPP. Auf diese Weise konnten wir die physikalischen und chemischen Eigenschaften bekannter Substrate analysieren, um verborgene Ähnlichkeiten zu finden“, erläutert Dr. Stephan Breimann, einer der Hauptautoren der aktuellen Veröffentlichung. „Unser Ansatz bietet eine sogenannte erklärbare KI. Sie kann mögliche Zielmoleküle nicht nur vorhersagen, sondern sie hilft auch, das dahinterstehende Prinzip zu verstehen.“
Dynamische Strukturen
Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die Substrate der Gamma-Sekretase in der Nähe der Spaltstelle eine spezifische physikalisch-chemische Signatur aufweisen: Sie umfasst neben einer lokalen Helixstruktur auch die Fähigkeit, andere Strukturmuster anzunehmen, sobald das Enzym andockt. Diese dynamischen Eigenschaften scheinen für die molekulare Erkennung im besonderen Umfeld einer Zellmembran von entscheidender Bedeutung zu sein. „Dies ist ein wichtiges Merkmal, wenn auch nicht der einzige Unterschied zu Nicht-Substraten. Wie wir festgestellt haben, werden Substrate der Gamma-Sekretase durch die Summe einer ganzen Reihe physikalisch-chemischer Eigenschaften definiert“, sagt Breimann.
Durch den neuartigen Ansatz konnten 160 Proteine als potenzielle Substrate identifiziert werden. Keines davon war zuvor mit der Gamma-Sekretase in Verbindung gebracht worden. Elf dieser Proteine – darunter einige, die an der Immunregulation und Krebs beteiligt sind – wurden in der aktuellen Studie bereits als Substrate experimentell bestätigt.
Ausblick
Da das Enzym in der Zellmembran vorkommt – ein möglicher Schauplatz pathologischer Prozesse – könnten die aktuellen Befunde helfen, die Rolle der Gamma-Sekretase bei Krankheiten besser zu verstehen. Die Forschenden betonen allerdings, dass die Bedeutung ihrer Arbeit über dieses spezielle Enzym hinausgeht. „Das CPP-Verfahren lässt sich auf andere Proteasen und Rezeptorsysteme übertragen. Es ist ein leistungsfähiges Werkzeug, um molekulare Erkennungsprozesse zu verstehen – im gesunden Organismus wie bei pathologischen Geschehnissen“, sagt Steiner. „Wir hoffen, dass unser Ansatz künftig zur Entwicklung von Medikamenten mit höherer Spezifität und weniger Nebenwirkungen beitragen kann.“
Originalveröffentlichung
Charting γ-secretase substrates by explainable AI.
Stephan Breimann, Frits Kamp et al.
Nature Communications (2025).
DOI: 10.1038/s41467-025-60638-z