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Saubere Luft schützt Kinder vor hohem Blutdruck und erhöhten Diabetes-Markern
Zwei neue Studien des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS in Bremen zeigen erstmals, dass die Luftqualität direkt den Blutdruck und wichtige Marker für das Diabetes-Risiko beeinflusst. Möglich wurde dieser Nachweis durch die Anwendung von Methoden der kausalen Inferenz, die es erlauben, die Effekte sogenannter hypothetischer Interventionen zu ermitteln.
Schon länger weisen Beobachtungsstudien darauf hin, dass verschmutzte Luft Entzündungsprozesse im Körper fördert und den Zuckerstoffwechsel sowie das kardiovaskuläre System beeinflusst, was das Risiko für Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck erhöht. Doch in Beobachtungsstudien gezeigte Zusammenhänge belegen nicht unbedingt Kausalität. Kausalität bedeutet den Zusammenhang von Ursache und Wirkung – also dass ein Ereignis ein anderes hervorruft oder beeinflusst. Randomisierte, kontrollierte Studien wären der richtige Ansatz, um starke Hinweise für Kasualität zu liefern. Hierbei werden Individuen nach dem Zufallsprinzip zwei Gruppen zugeordnet und würden unter definierten Bedingungen unterschiedlich hoher Luftverschmutzung ausgesetzt werden. In der Umweltmedizin sind solche Studien aber kaum umsetzbar: Sie wären nicht nur extrem teuer und logistisch aufwendig, sondern vor allem auch ethisch nicht vertretbar.
Deshalb wählte das BIPS-Team um Dr. Rajini Nagrani, Leiterin der Fachgruppe Molekulare Epidemiologie, und Dr. Maike Wolters, Wissenschaftlerin in der Fachgruppe Verhalten und Gesundheit, einen innovativen Ansatz. Auf Basis der IDEFICS/I.Family-Kohorte – einer der größten europäischen Studien zu Gesundheit und Lebensstil von Kindern – simulierten sie mithilfe einer hypothetischen Intervention die Effekte einer verbesserten Luftqualität.
„In unserer Studie folgten wir einem Prinzip namens Target Trial Emulation. Zunächst spezifizierten wir eine ideale randomisierte Studie, die unsere Forschungsfrage beantworten könnte. In einem zweiten Schritt ahmten wir diese ideale Studie so genau wie möglich anhand von Beobachtungsdaten einer großen Kinderkohorte nach. Dadurch lässt sich der mögliche kausale Effekt abschätzen, ohne Kinder tatsächlich einem Risiko auszusetzen“, erklärt Dr. Claudia Börnhorst, Statistikerin am BIPS.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Reduzierte Werte der Luftschadstoffe Ruß und Feinstaub (PM2.5) gehen mit messbaren Verbesserungen des Blutdrucks und des Zuckerstoffwechsels von Kindern und Jugendlichen einher. Damit belegt die Studie einen direkten, kausalen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Störungen des Blutdrucks und Zuckerstoffwechsels im Kindesalter. Sie liefert außerdem neue Argumente für Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität, nämlich die Prävention von Diabetes und Bluthochdruck.
In den meisten europäischen Regionen werden die von der WHO empfohlenen Luftverschmutzungsgrenzwerte überschritten. Die Studien zeigen, dass die Erreichung der WHO-Ziele für PM2,5 das Risiko für Bluthochdruck und erhöhte Diabetes-Marker bei Kindern erheblich senken würde. Vor dem Hintergrund, dass die globalen Luftqualitätsrichtlinien der WHO für 2021 aufgrund fehlender Daten keine Grenzwerte für Ruß enthalten, erweitern die Ergebnisse durch die Bewertung hypothetischer Rußwerte und die Abschätzung ihrer potenziellen gesundheitlichen Vorteile für Kinder die Datenbasis für die zukünftige Abschätzung eines Ruß-Grenzwertes.
Die IDEFICS/I.Family-Kohorte als wissenschaftliche Grundlage
Die IDEFICS-Studie und ihre Erweiterung, die I.Family-Studie, zählen zu den umfassendsten europäischen Untersuchungen zur kindlichen Gesundheit. Zwischen 2007 und 2014 wurden 16.230 Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren in acht europäischen Ländern wiederholt untersucht. Erfasst wurden dabei Ernährung, Bewegung, Körpermaße sowie Blut- und Urinproben unter standardisierten Bedingungen. Für die aktuelle Analyse nutzte das BIPS-Team Längsschnittsdaten aus drei Erhebungswellen, um Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und biologischen Markern im Kindesalter besser zu verstehen.
„Unsere Studie liefert wichtige wissenschaftliche Belege dafür, dass Luftreinhaltung sowohl den Stoffwechsel als auch das kardiovaskuläre System schützt. Eine saubere Umwelt ist damit ein zentraler Faktor für die langfristige Prävention chronischer Erkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck – und das bereits im Kindesalter“, so Rajini Nagrani. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse Verantwortliche in der Politik motivieren, die Einhaltung der empfohlenen Grenzwerte für Luftschadstoffe sicherzustellen“, ergänzt Maike Wolters.
Originalpublikationen
Rajini Nagrani, Maike Wolters, Christoph Buck, Danielle Vienneau, Kees deHoogh, Stefaan De Henauw, Lauren Lissner, Dénes Molnár, Luis Moreno, Marika Dello Russo, Valeria Pala, Wolfgang Ahrens, Vanessa Didelez, Claudia Börnhorst, Effect of long-term air pollution reduction on insulin resistance and fasting glucose in children: A causal analysis, Environmental Research,2025,122920, ISSN 0013-9351, https://doi.org/10.1016/j.envres.2025.122920.
Maike Wolters, Rajini Nagrani, Nour Naaouf, Stefaan De Henauw, Lauren Lissner, Luis A Moreno, Dénes Molnár, Paola Russo, Tanja Vrijkotte, Wolfgang Ahrens, Claudia Börnhorst on behalf of the IDEFICS/I.Family consortium: Effects of ambient air pollutants and environmental greenness on the incidence of pre‑/hypertension in children and adolescents. European Journal of Preventive Cardiology 2025, zwaf600, https://doi.org/10.1093/eurjpc/zwaf600.
Das BIPS – Gesundheitsforschung im Dienste des Menschen
Die Bevölkerung steht im Zentrum unserer Forschung. Als epidemiologisches Forschungsinstitut sehen wir unsere Aufgabe darin, Ursachen für Gesundheitsstörungen zu erkennen und neue Konzepte zur Vorbeugung von Krankheiten zu entwickeln. Unsere Forschung liefert Grundlagen für gesellschaftliche Entscheidungen. Sie informiert die Bevölkerung über Gesundheitsrisiken und trägt zu einer gesunden Lebensumwelt bei.
Das BIPS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der 96 selbstständige Forschungseinrichtungen gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat liegt bei 2 Milliarden Euro.