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Weiterer Schritt in Richtung Heilung – Vitamin-A-Transporter holt ruhende HI-Viren aus der Deckung

Humane Immunodefizienz-Viren (HIV) sind tückisch. Sie können sich der Immunabwehr und Medikamenten entziehen, indem sie „latent“ werden. In diesem Zustand sind sie weitgehend unsichtbar und unangreifbar. Solange diese Schläfer-Viren in Deckung bleiben, gibt es für Menschen mit HIV/AIDS keine wirkliche Heilung. Doch eine Forschungsgruppe des Uniklinikums Ulm hat nun einen neuen Weg gefunden, um latente HI-Viren wieder zu aktivieren. Möglich macht dies das körpereigene Protein RBP4, ein Transporter für Vitamin A. Damit ergibt sich ein neuer Ansatzpunkt für zukünftige Therapien.

„Wir haben einen natürlichen Wirkstoff entdeckt, der ‚versteckte‘ HI-Viren ‚aufschreckt‘ und sie damit für das Immunsystem angreifbar macht“, sagt Professor Frank Kirchhoff, Direktor des Instituts für Molekulare Virologie am Universitätsklinikum Ulm. Bei dem natürlichen Wirkstoff handelt es sich um das Retinol-bindende-Protein RBP4, das als Vitamin-A-Transporter bekannt ist. Kirchhoff ist Koordinator der Studie, die kürzlich im hochrenommierten Fachjournal „Signal Transduction and Targeted Therapy“ veröffentlicht wurde, das zur Nature-Gruppe gehört.

Die internationale Forschungsgruppe, an der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA, Wien und Ulm beteiligt waren, hat dafür das Blutpeptidom des Menschen einem umfassenden Screening unterzogen. Dabei wurde eine Vielzahl kleiner Proteine und Peptide des menschlichen Blutes auf ihre aktivierende Wirkung auf verstecktes HIV untersucht. Getestet wurde dies mit Hilfe einer Modell-Zelllinie für HIV-infizierte T-Lymphozyten. Diese Immunzellen spielen eine Schlüsselrolle in der Abwehr, werden aber auch bevorzugt vom HI-Virus infiziert. „Im Zustand der Latenz ist das Virus zwar inaktiv, doch die Immunzellen tragen das virale Erbgut in sich und können auch nach langer Zeit wieder beginnen, infektiöse Viren freizusetzen“, erklärt Dr. Chiara Pastorio, Postdoc am Institut für Molekulare Virologie. Die Wissenschaftlerin, die kürzlich mit dem Jutta-und-Wilfried-Trumpp-Stiftungspreis der Internationalen Graduiertenschule für Molekulare Medizin Ulm (IGradU) ausgezeichnet wurde, ist Erstautorin der Studie.

Dass die Latenz-Umkehr mit RBP4 gelingt, konnte das Forschungsteam in Kooperation mit einer US-Gruppe auch an Zellen von HIV-positiven Personen zeigen, die unter langfristiger Therapie eine nicht mehr nachweisbare Viruslast hatten. Um die „schlafenden“ Viren zu wecken, waren physiologische Konzentrationen von RBP4 ausreichend, wie sie im menschlichen Körper natürlicherweise vorkommen. Das internationale Forschungsteam fand außerdem heraus, dass nur der mit Retinol-beladene Vitamin-A-Träger die latenten Viren aktivieren kann und nicht das unbeladene Transporter-Protein. Allerdings war Retinol beziehungsweise die Retinsäure selbst nicht ausreichend für die Latenz-Umkehr. Vielmehr konnten die Virologinnen und Virologen nachweisen, dass stattdessen die Aktivierung eines speziellen Signalwegs (NF-κB) ausschlaggebend ist, der eine Schlüsselrolle für immuno-logische und Zellteilungsprozesse spielt und der über andere Signale noch verstärkt wird.

„Wir haben mit dem Retinol-bindenden-Protein RBP4 einen natürlichen Faktor gefunden, der latente HIV-Reservoire reaktivieren kann. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung einer möglichen Heilung dieser heimtückischen Krankheit“, bekräftigen die Ulmer Forschenden. Die Entdeckung könnte neue Möglichkeiten für die sogenannte „Shock-and-Kill“-Strategie eröffnen, bei der die „schlafenden“ Viren geweckt werden, um sie anschließend vom Immunsystem eliminieren zu lassen. Gefördert wurde das Projekt, das neue therapeutische Perspektiven aufzeigt, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über den Sonderforschungsbereich (SFB) 1279 „Nutzung des menschlichen Peptidoms zur Entwicklung neuer antimikrobieller und anti-Krebs Therapeutika“. Weitere Unterstützung kam von Partnerinstitutionen in Philadelphia und Wien sowie vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Kurzzusammenfassung

Forschende des Uniklinikums Ulm haben entdeckt, dass das körpereigene Protein RBP4 latente HI-Viren aktivieren und damit aus der Deckung holen kann. Das Retinol-bindende-Protein 4 (RBP4) ist als Transporter für Vitamin A bekannt. Dieser natürliche, körpereigene Faktor zur Latenz-Umkehr wirkt in physiologischen Konzentrationen und könnte die Möglichkeiten verbessern, den AIDS-Erreger im Rahmen der „Shock-and-Kill“-Strategie zu aktivieren und auszulöschen. Dies schafft neue Perspektiven auf dem Weg zu einer möglichen Heilung dieser heimtückischen Immunschwächekrankheit.

Originalpublikation:

Pastorio, C., et al. Retinol Binding Protein 4 reactivates latent HIV-1 by triggering canonical NF-κB, JAK/STAT5 and JNK signalling. Sig Transduct Target Ther 10, 326 (2025). https://doi.org/10.1038/s41392-025-02424-3