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„HIV muss wieder sichtbarer werden“
Am 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag
Auch über vier Jahrzehnte nach seiner Entdeckung sorgt das HI-Virus für ein weltweit relevantes Infektionsgeschehen. Zwar ermöglicht die antiretrovirale Therapie meist eine nahezu normale Lebenserwartung, doch Zugang und Versorgung bleiben regional sehr ungleich. Vor dem Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember spricht Wilfried Posch, Immunologe und HIV-Forscher an der Medizin Uni Innsbruck, über Therapiefortschritte, Impfstoffentwicklung und warum das Bewusstsein für das Virus wieder stärker werden muss.
Innsbruck: Nach aktuellen Schätzungen leben weltweit über 40 Millionen Menschen mit HIV, rund 2,6 Millionen davon in der WHO-Region Europa* – ein Großteil in Osteuropa und Zentralasien. Während in vielen Ländern Subsahara-Afrikas die Neuinfektionen tendenziell sinken, steigen sie in einigen Regionen Europas, in Zentralasien sowie in Teilen Nordafrikas und des Nahen Ostens wieder an.
Herr Posch, welche Fortschritte sind in der HIV-Therapie zu verzeichnen?
Wilfried Posch: Die Behandlung der HIV-Infektion hat enorme Fortschritte gemacht, AIDS-Erkrankungen und Todesfälle sind deutlich seltener geworden. Noch vor einigen Jahren mussten HIV-positive Menschen täglich zahlreiche Tabletten einnehmen, heute sind moderne Kombinationstherapien in einer einzigen Tablette verfügbar. Hinzu kommt die Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), die das Infektionsrisiko für HIV-negative Menschen mit erhöhtem Risiko deutlich senkt; dazu zählen etwa Menschen, die intravenös Drogen konsumieren, Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben oder HIV-negative Personen, die in einer Partnerschaft mit einer HIV-positiven Person leben. Hier wurden außerdem langwirksame Depot-Medikamente entwickelt, die nur halbjährlich injiziert werden müssen und so den Alltag extrem erleichtern und die Lebensqualität erhöhen. Es macht Sinn, vor allem versorgungsschwachen Ländern den Zugang zu diesem noch teuren Medikament zu ermöglichen.
Kann man auch mit langjähriger HIV-Infektion alt werden?
Posch: In Westeuropa ermöglicht die frühe antiretrovirale Therapie (ART) meist eine nahezu normale Lebenserwartung, vorausgesetzt, die Behandlung wird konsequent eingenommen und ärztlich überwacht. Wir wissen inzwischen aber auch, dass die jahrzehntelange Einnahme antiretroviraler Medikamente die Organe belasten und die Lebenserwartung somit geringfügig reduzieren kann. Die HIV-Infektion ist heute eine chronische Erkrankung, die sich gut behandeln lässt. Entscheidend ist die Therapietreue; wenn man sich gut fühlt, neigt man allerdings dazu, die Einnahme zu vergessen – das stellt ein Risiko für die Resistenzentwicklung dar. Ziel jeder Therapie ist es, die Viruslast so weit zu senken, dass sie nicht mehr nachweisbar und das Virus auch nicht mehr übertragbar ist, gemäß „U = U“ (undetectable = untransmittable“ / nicht nachweisbar = nicht übertragbar). Zur optimalen Versorgung gehören aber auch regelmäßige Labortests zur Überprüfung der Wirksamkeit der Therapie. Generell erfolgt ein HIV-Test nur mit Einwilligung; wer einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist oder seinen HIV-Status nicht kennt, sollte ihn deshalb proaktiv in Anspruch nehmen.
HIV ist noch immer nicht heilbar. Was ist von aktuellen Forschungsaktivitäten zu erwarten und worauf ist der Fokus in Ihrem Labor gerichtet?
Posch: In der Forschung ist der Blick neben klassischen Phasen der Virusvermehrung zunehmend auf die Feinregulation des Immunsystems gerichtet. Eine besondere Rolle spielt dabei das Komplementsystem. Dieser Teil der angeborenen Immunabwehr wird auch in unserem Labor seit vielen Jahren schwerpunktmäßig beforscht. Wir konnten etwa nachweisen, dass HIV vom Immunsystem in der akuten und in der chronischen Infektionsphase unterschiedlich erkannt wird, weil sich die Oberflächenmarkierung und die Beladung des Virus mit Immunfaktoren ändert. Solche Einsichten helfen zu verstehen, warum wir unterschiedliche Immunantworten in der akuten und chronischen Phase der Infektion beobachten und manche Menschen – sogenannte Elite Controller – das Virus ohne zu erkranken kontrollieren können. Ein Grund dieser natürliche Kontrolle liegt oft in einer bestimmten genetischen Veranlagung, insbesondere in der Ausprägung der menschlichen Leukozytenantigene (HLA), die dem Immunsystem helfen, das Virus ohne Therapie effektiv zu bekämpfen.
In unserem aktuellen FWF-Projekt nehmen wir in meinem Labor das Komplosom, das zelluläre, also innerhalb der Zelle aktive Komplementsystem unter die Lupe und untersuchen mit modernsten Methoden, wie dendritische Zellen – die Wächterzellen des Immunsystems – das Komplosom in verschiedenen Phasen der HIV-Infektion nutzen. Studien deuten darauf hin, dass diese Signalwege in dendritischen Zellen die Aktivierung von T-Zellen mitsteuern und sich damit möglicherweise als Therapieziele eignen.
Und wann ist mit einer Impfung zu rechnen?
Posch: Die Impfstoffentwicklung schreitet zügig voran. Das Ziel sind funktionelle T-Zellen und breit neutralisierende Antikörper, die die enorme Variabilität dieses RNA Retrovirus abdecken. Im Visier hat man hier sowohl passiv verabreichte, breit neutralisierende Antikörper als auch neue Proteinimpfstoffe, Vektorimpfstoffe und mRNA-Ansätze, die sich auf Erfahrungen aus der COVID-19 Impfstoffforschung stützen. Noch sind diese Strategien nicht zugelassen, doch sie eröffnen zusätzliche Perspektiven neben der ART.
Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen, um das globale Ziel zu erreichen, AIDS bis 2030 als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu eliminieren?
Posch: Internationale Finanzierungslücken, ein ungleicher Zugang zu Diagnostik und Therapien sowie die nachlassende öffentliche Aufmerksamkeit erschweren das Erreichen der UNAIDS-Ziele. Auf Bevölkerungsebene bleibt Aufklärung das zentrale Element, um der Diskriminierung von Menschen mit HIV entgegenzuwirken. HIV muss in der Bevölkerung wieder sichtbarer werden, davon profitieren Forschung, Versorgung und Prävention.
*) 92 Prozent der 2,6 Millionen HIV-positiven Menschen leben in Russland, in der Ukraine, in Kasachstan und in Usbekistan.
Das Interview führte Doris Heidegger.
Zur Person:
https://experts.i-med.ac.at/experte/wilfried-posch/