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Weshalb das Bauchhirn eine zentrale Rolle bei Allergien spielt
Gemeinsame Pressemitteilung von Charité und Uni Bern
Eine internationale Studie unter Leitung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und von Berner Forschenden hat eine bislang unbekannte Funktion des Darmnervensystems aufgedeckt. Wie das Team jetzt im Fachmagazin Nature Immunology* beschreibt, reguliert das Darmnervensystem die Zusammensetzung und die Stabilität der Darmbarriere. Ist dieser Schutzmechanismus gestört, entsteht eine Neigung zu Allergien. Die Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven für die Behandlung von Allergien, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und dem Reizdarmsyndrom.
Das Darmnervensystem, oft als „Bauchhirn“ bezeichnet, spielt eine entscheidende Rolle bei der Steuerung unserer Verdauung und beim Erhalt der sogenannten Darmbarriere. Diese Schutzschicht trennt den Körper vom Darminhalt und besteht aus der Darmschleimhaut, Abwehrzellen und dem Mikrobiom. Damit die Darmbarriere effektiv arbeiten kann, müssen alle Komponenten im richtigen Gleichgewicht sein. Ist das Gleichgewicht gestört, können Entzündungen, Allergien oder chronische Darmerkrankungen auftreten. Die Darmschleimhaut gilt dabei als wichtigste Verteidigungslinie gegen Krankheitserreger. Frühere Studien hatten gezeigt, dass das Darmnervensystem nebst seiner Funktion für die Verdauung auch eine wichtige Rolle bei Abwehrreaktionen im Darm spielt. Inwiefern das Darmnervensystem die Entwicklung von Darmzellen beeinflusst, war bisher jedoch weitgehend unerforscht.
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Charité, der Universität Bern und des Inselspitals Bern, Universitätsspital Bern hat nun erstmals gezeigt, dass das Darmnervensystem als zentraler Schalter für die Darmbarriere fungiert. Über einen freigesetzten Botenstoff steuert es nicht nur, wie sich Zellen der Darmwand zu unterschiedlichen Zelltypen entwickeln, sondern beeinflusst auch die Immunreaktionen im Darm, die Allergien fördern.
Das Darmnervensystem als „Dirigent“ zwischen Stammzellen und Abwehrzellen
In ihrer Studie untersuchten die Forschenden anhand eines Mausmodells, wie bestimmte Nervenzellen im Darm mit den Stammzellen des Darms kommunizieren. Dabei fokussierten sie sich auf das sogenannte vasoaktive intestinale Peptid (VIP), einen Botenstoff, der vom Darmnervensystem produziert wird. Die Ergebnisse der Studie zeigen erstmals, dass Darmnervenzellen über den VIP-Botenstoff direkt mit den Darm-Stammzellen kommunizieren. Dadurch sorgen die Nervenzellen dafür, dass sich die Stammzellen nicht zu schnell vermehren und nicht zu stark in bestimmte Zelltypen ausreifen. Ist dieser Steuerungsmechanismus gestört und fehlt der VIP-Botenstoff, entsteht ein Überschuss sogenannter Büschelzellen. Diese schütten ihrerseits dann Signale aus, die im Darm eine Art Allergieprogramm starten.
„Unsere Resultate verdeutlichen, dass das Darmnervensystem ein entscheidender Faktor für die Aufrechterhaltung einer gesunden Darmschleimhaut, Immunregulation und letztendlich für die gesunde Darmbarriere ist“, erklärt Dr. Manuel Jakob von der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin am Inselspital, Forschungsmitarbeiter am Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und Wissenschaftler an der Charité. Der Erstautor der Studie fügt an: „Unser ‚Bauchhirn’ ist also viel mehr als nur Verdauungshelfer. Es ist ein zentraler Schalter für Gesundheit, Abwehrkräfte und möglicherweise auch Krankheiten, die sehr viele Menschen betreffen. Interessanterweise deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der Effekt auch durch die Art der Ernährung, also die Nahrungsbeschaffenheit beeinflusst wird.“
Neue Ansätze für Entzündungs- und Allergieerkrankungen des Darms
Ein gesundes Darmmikrobiom und eine stabile Immunantwort sind für die Abwehr von Krankheiten unerlässlich, weshalb die Erforschung des Darmnervensystems von großer Relevanz ist. „Der entdeckte Mechanismus könnte erklären, warum manche Menschen im Darm überempfindlich reagieren und wie wir in Zukunft gezielt intervenieren können“, erklärt Prof. Christoph Klose, Leiter der Arbeitsgruppe Neuroimmun-Interaktion am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité und Letztautor der Studie. „Wenn wir das Zusammenspiel von Nerven, Zellen und Immunreaktionen im Darm besser verstehen, können wir Medikamente gezielter und personalisierter entwickeln – etwa für Allergien, das Reizdarm-Syndrom oder chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.“ Zudem lassen sich diese Reaktionen möglicherweise durch die Ernährung direkt angehen. In einem nächsten Schritt möchte das Team deshalb herausfinden, wie genau sich Ernährung gezielt nutzen lässt, um diese Nerven-Darm-Achse zu unterstützen und die Darmgesundheit zu fördern.
*Jakob MO et al. Enteric nervous system-derived VIP restrains differentiation of LGR5+ stem cells toward the secretory lineage impeding type 2 immune program. Nat Immunol 2025 Nov 24. doi: 10.1038/s41590-025-02325-1
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Originalpublikation
Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie