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Schnelle Blickbewegungen beeinflussen die Wahrnehmung von Geschwindigkeit

Publikation von Wahrnehmungspsychologen des Forschungscampus Mittelhessen

Bewegungen der Augen beeinflussen die Art und Weise, wie der Mensch die Geschwindigkeit bewegter Objekte wahrnimmt. Das hat kürzlich ein Team von Wahrnehmungspsychologinnen und -psychologen der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und der Philipps-Universität Marburg (UMR) entdeckt. Die Ergebnisse wurden in der renommierten Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht und liefern Belege dafür, dass das Auftreten von kurzen, schnellen Blicksprüngen zu veränderter Geschwindigkeitswahrnehmung führt.

Um ein Objekt scharf zu sehen, muss der Mensch seine Augen so ausrichten, dass das Abbild des Objektes auf die so genannte Fovea centralis, eine nur 1,5 Millimeter große Region der Netzhaut projiziert wird. Bevor das Auge einem beweglichen Objekt folgen kann, muss die Fovea auf das Ziel gerichtet werden. Dabei gibt es zwei verschiedene willkürliche Augenbewegungen: Das eine sind sehr schnelle Blicksprünge von einem Punkt zum nächsten, sogenannte „Sakkaden“ – wie etwa beim Lesen eines Textes. Zum anderen gibt es Augenfolgebewegungen („Pursuit“), bei denen die Augen kontinuierlich bewegt werden, um dynamischen Objekten zu folgen. Fährt beispielsweise ein Bus vorbei, kann der Mensch die Augenbewegung an die Geschwindigkeit des Busses anpassen und so problemlos auf der Anzeige lesen, wohin dieser fährt.

Wenn der Abstand zwischen Fovea und dem Blickziel zu groß oder dessen Geschwindigkeit zu hoch ist, ist das Pursuitsystem auf die Unterstützung durch das Sakkadensystem angewiesen. Da Sakkaden und Pursuit sehr unterschiedliche Augenbewegungen sind und ihre Programmierung auch neurologisch gesehen zumindest teilweise unterschiedlich verläuft, ist über ihre Interaktionen und deren Auswirkungen auf die visuelle Wahrnehmung noch relativ wenig bekannt.

Auch wenn der Mensch seine Augenbewegungen im Alltag kaum wahrnimmt, nutzt das Gehirn viele Informationen, die nur durch die Ausführung von Augenbewegungen zugänglich werden. Das Forscherteam aus Marburg und Gießen wollte wissen, welchen Einfluss Sakkaden – also Blicksprünge – auf die Geschwindigkeitswahrnehmung haben. Dazu wählten die Psychologen Versuchsbedingungen, bei denen der gleiche physikalische Reiz entweder nur mit Pursuit verfolgt wurde oder mit einer Kombination von Pursuit und Sakkaden.

In der Untersuchung hatten Versuchspersonen die Aufgabe, einem sich horizontal bewegenden Punkt mit ihren Augen so genau wie möglich zu folgen und anschließend dessen Geschwindigkeit einzuschätzen. Dies ist keine triviale Aufgabe, da die Geschwindigkeit des Abbildes auf der Netzhaut durch die Bewegung der Augen verändert wird. Das Gehirn löst dieses Problem dadurch, dass es die Signale, welche für die Blicksteuerung verwendet werden, mit den visuellen Signalen der Netzhaut kombiniert. Dadurch ist es möglich, Bewegungen in der realen Welt von Bewegungen, die der Mensch selbst ausführt, zu unterscheiden.

Überraschenderweise zeigten die Untersuchungsergebnisse, dass das Auftreten und die Richtung der Sakkaden einen systematischen Effekt auf die wahrgenommene Geschwindigkeit des Zielobjektes hatten. Wenn Versuchspersonen eine Sakkade in Pursuitrichtung ausführten, um mit den Augen das Objekt einzuholen, wurde dessen Geschwindigkeit höher geschätzt. Führten die Versuchspersonen einen Blicksprung in die Gegenrichtung aus, wurde die Geschwindigkeit des Reizes als langsamer beurteilt. Führten die Versuchspersonen bei den gleichen Bedingungen nur Pursuitbewegungen aus, entsprach die Geschwindigkeitseinschätzung in etwa der tatsächlichen Reizgeschwindigkeit

Publikation
Alexander Goettker, Doris I. Braun, Alexander C. Schütz and Karl R. Gegenfurtner:
„Execution of saccadic eye movements affects speed perception”, PNAS 2018; published February 13, 2018
https://doi.org/10.1073/pnas.1704799115

Weitere Informationen:
Der Forschungscampus Mittelhessen ist eine hochschulübergreifende Einrichtung nach §47 des Hessischen Hochschulgesetzes der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Philipps-Universität Marburg und der Technischen Hochschule Mittelhessen zur Stärkung der regionalen Verbundbildung in der Forschung, Nachwuchsförderung und Forschungsinfrastruktur.

Das Verständnis der Funktionsweise des Gehirns und des menschlichen Verhaltens ist das zentrale Ziel der gemeinsamen Forschungsaktivitäten der Forschenden der JLU und der UMR im Campus-Schwerpunkt „Geist, Gehirn und Verhalten“.