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Brustschmerzen ohne Engstellen: Studie identifiziert acht Ursachen
Eine neue internationale Studie identifiziert acht unterschiedliche Ursachen für Brustschmerzen trotz unauffälliger Herzkranzgefäße.
Viele Menschen kommen wegen wiederkehrender Brustschmerzen ins Krankenhaus. Oft liegt der Verdacht einer Durchblutungsstörung des Herzens nahe. Werden jedoch keine Engstellen der Herzkranzgefäße festgestellt, gelten die Befunde meist als unauffällig. Für die Betroffenen ist das schwer zu verstehen, denn die Beschwerden bleiben bestehen. Dieses Krankheitsbild wird ANOCA (Angina with Non-Obstructive Coronary Arteries) genannt. Damit sind Beschwerden gemeint, die der Angina pectoris ähneln, also Brustenge oder ein Druckgefühl, die typischerweise bei einer Minderdurchblutung des Herzens entstehen. ANOCA betrifft mehr als ein Drittel der Menschen mit Angina pectoris und tritt bei Frauen besonders häufig auf.
Die prospektive multizentrische Studie wurde unter der wissenschaftlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Tommaso Gori (Universitätsmedizin Mainz, DZHK Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung, Standort Rhein-Main) durchgeführt. Insgesamt nahmen neun Zentren teil. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die zugrunde liegenden Mechanismen klar unterscheiden lassen und sind im European Heart Journal erschienen. Erstautorin Dr. Ornela Velollari (ebenfalls Universitätsmedizin Mainz und DZHK) wurde für die Arbeit mit Young Investigator Award 2025 der Europaen Society of Cardiology ausgezeichnet.
Warum Angina ohne Gefäßverengung oft unentdeckt bleibt
Bei der üblichen Diagnostik werden mithilfe der Koronarangiographie die großen Herzkranzgefäße untersucht, um Engstellen zu finden. Bei vielen Patientinnen und Patienten mit ANOCA liegen die Ursachen jedoch in den kleinen Gefäßen, in der Gefäßreaktion oder in der Schmerzverarbeitung. Diese Veränderungen bleiben in der Routine unsichtbar. Die Studie zeigt, wie häufig dies der Fall ist: Bei 77 Prozent der untersuchten Personen wurden Funktionsstörungen festgestellt, die die Beschwerden erklären und auf unterschiedliche Behandlungswege hinweisen.
Ein genauer Blick in die Koronarphysiologie
Die Forschenden nutzten eine invasive Methode, um die Durchblutung und Gefäßreaktionen in Echtzeit zu messen. Das Team prüfte bei 1001 Patientinnen und Patienten, wie die Herzkranzgefäße auf die Wirkstoffe Adenosin und Acetylcholin reagieren. Während Adenosin Aufschluss darüber gibt, wie gut sich die Gefäße weiten und den Blutfluss steigern können, lässt Acetylcholin erkennen, ob es zu Verkrampfungen oder Fehlreaktionen der Gefäßwände kommt. Auf dieser Grundlage beschrieben die Forschenden acht verschiedene Mechanismen, sogenannte Endotypen. Jeder davon beruht auf einer eigenen Störung im Gefäßsystem. Zu diesen Endotypen gehören verschiedene Formen von Durchblutungsstörungen und Gefäßreaktionen, darunter Spasmen, Veränderungen der Durchblutungsreserve, Störungen der Gefäßwand und eine verstärkte Schmerzempfindlichkeit. Jeder dieser Endotypen geht mit eigenen klinischen Mustern einher.
„Wir sehen viele Menschen mit klaren Brustschmerzen, aber ohne sichtbare Verengungen der Koronararterien. Die Studie hilft uns, die zugrunde liegenden Mechanismen besser einzuordnen und gezielter zu behandeln“, sagt Prof. Tommaso Gori von der Universitätsmedizin Mainz, dessen Arbeitsgruppe durch das DZHK unterstützt wird.
Neue Wege zu einer passgenauen Behandlung
Auf Grundlage der Daten erarbeitete ein internationales Expertengremium Empfehlungen für eine endotypspezifische Therapie. Dadurch ist es möglich, Patientinnen und Patienten individueller zu behandeln und die Lücke zwischen Diagnose und Therapie zu schließen. In geplanten Folgestudien soll untersucht werden, ob diese Ansätze zu einer nachhaltigen Verbesserung von Beschwerden und Lebensqualität führen.
Originalpublikation:
Miner S, Mejia-Renteria H, Leone AM, et al. Endotypes of angina with non-obstructive coronary arteries: a prospective multicentre study. Eur Heart J. Published online November 11, 2025. doi:10.1093/eurheartj/ehaf839