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Patientensicherheit: Beibehaltung der Verschreibungspflicht für Desogestrel-haltige Verhütungspille ist richtige Empfehlung

Der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) befürwortet die wegweisende Empfehlung, eine niedrig dosierte Desogestrel-haltige Verhütungspille nicht aus der ärztlichen Verschreibungspflicht zu entlassen. Die im deutschen Gesundheitssystem verankerte Möglichkeit zur ärztlichen Beratung und Verschreibung von Verhütungsmitteln gewährleistet Patientinnen die notwendige gesundheitliche und kontrazeptive Sicherheit beim Einsatz von hormonellen Präparaten. Die präventive ärztliche Abklärung von individueller Eignung sowie fachärztlicher Kontrolle und Aufklärung ist auch bei einem niedrig dosierten Gestagen-Hormon empfohlen, um Anwendungsrisiken zu minimieren. 

Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat in seiner Sitzung am 23. Januar 2024 entschieden, das Desogestrel-haltige Kontrazeptivum (75 µg) zur oralen Anwendung nicht aus der Verschreibungspflicht zu entlassen (1). Rezeptpflicht hat für Patientinnen immer auch eine Schutzfunktion bzw. Risikominimierung, wodurch Kontraindikationen sowie individuelle Risiken und Begleiterkrankungen durch ärztliche Beratung und Untersuchung erkannt werden können. Auf diese wichtige Bedeutung hat der Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) mit einer Stellungnahme das Gremium im Vorfeld hingewiesen (2) – der Sachverständigenausschuss hat sich dieser fachlichen Einschätzung offenbar angeschlossen: „Die Entlassung von Desogestrel aus der ärztlichen Verschreibungspflicht und damit auch aus der ärztlichen Beratung, Aufklärung und weiteren Begleitung wäre für Anwenderinnen mit vermeidbaren Risiken behaftet. Mädchen und Frauen haben einen Anspruch auf umfassende Aufklärung und Nutzen-Risiko-Abwägung, als Grundlage einer informierten Entscheidung und sicheren Anwendung von hormonellen oder nicht hormonellen Verhütungsmethoden“, betont Dr. Klaus Doubek, Präsident des BVF.

Abwenden von Risiken durch ärztliche Anamnese wichtig

Das zur Debatte stehende Desogestrel-haltige orale Kontrazeptivum enthält nur ein Gestagen-Hormon und gilt damit als östrogenfreie Pille (Minipille) – bei der Östrogen-bedingte Nebenwirkungen entfallen. Minipillen sind genauso wie kombinierte Verhütungspillen (mit Gestagen- und Östrogenkomponente) eine sehr sichere Methode, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Desogestrel-haltige Präparate stellen zudem eine wichtige Form der oralen hormonellen Kontrazeption dar, die vielfältig auch bei Risikogruppen und in der Stillzeit angewendet werden kann.
Aufgrund der pharmakologischen Eigenschaften von Desogestrel bestehen dennoch spezielle Erfordernisse an die Anamnese samt Erfassung von Kontraindikationen sowie Aufklärung über spezifische Nebenwirkungsprofile und Risiken. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Anwendung durch Risikopersonen (z.B. mit Grunderkrankungen wie Diabetes Mellitus, Hypertonie). Um mögliche Kontraindikationen zu erfassen (z.B. geschlechtshormonabhängige Tumore, Leberfunktionsstörungen, ungeklärte vaginale Blutungen) ist eine sorgfältige Anamnese (ggf. einschließlich gynäkologischer Untersuchung) der Patientin erforderlich. Hierdurch können ebenso potenzielle Interaktionen mit Medikamenten ausgeschlossen werden sowie Empfehlungen zum Umgang mit möglichen Nebenwirkungen wie z.B. dem Auftreten von Depressivität gegeben werden.
Ein geringfügig erhöhtes Brustkrebs-Risiko trifft möglicherweise auch für die Desogestrel-Pille zu (2). Auch wenn das Gesamtrisiko insgesamt gering ist, erfordert dies zumindest die fachärztliche Erhebung einer Risikoanamnese der Patientin sowie der Patientenaufklärung.

Fachärztliche Aufklärung zu Situationen mit eingeschränkter kontrazeptiver Sicherheit 

Die Verordnung eines Desogestrel-haltigen oralen Kontrazeptivum bedarf auch deshalb der sorgfältigen Beratung und Begleitung durch eine Frauenärztin oder einen Frauenarzt, um über Schwachstellen der kontrazeptiven Sicherheit aufzuklären, die in manchen Situationen bestehen und einer zusätzliche Methode der Schwangerschaftsverhütung bedürfen (z.B. Beginn der Tabletteneinnahme ohne Präparatewechsel, Einnahmeverzögerung von mehr als 12 Stunden, bei gastrointestinalen Beschwerden mit verminderter Wirkstoffaufnahme). Bei fehlender Aufklärung und medizinischer Beratung besteht für Mädchen und Frauen die Gefahr, dass sie aufgrund von Anwendungsfehlen trotzdem schwanger werden können.

Ärztliche Einordnung häufiger Blutungsstörungen notwendig

Einer fachspezifischen Erläuterung und Patientenaufklärung bedürfen weiterhin veränderte Blutungsprofile, die unter der Anwendung einer Desogestrel-haltigen Verhütungspille – insbesondere initial – auftreten. Unter längerer Anwendung von Desogestrel stellt sich zudem häufig eine Blutungsfreiheit (Amenorrhoe) ein. Über veränderte Blutungsprofile und ein Aussetzen der Periode sind Mädchen und Frauen ebenso aufzuklären, wie darüber, dass bei entsprechender Symptomatik eine Schwangerschaft fachärztlich auszuschließen ist.
„In Deutschland haben Mädchen und Frauen einen sehr guten Zugang zu Verhütungsmitteln und zu einer fundierten ärztlichen Verhütungsberatung, die als elementarer Bestandteil eines modernen Gesundheitsverständnis in der medizinischen Versorgung betrachtet werden muss“, betont Dr. Doubek.

Die Maßnahme der Rezeptfreiheit würde keine bestehenden Probleme hinsichtlich Sexualaufklärung oder Zurückhaltung beim Zugang zu medizinischer Versorgung lösen bzw. könnte diese Probleme noch verschärfen. Sollte die rezeptfreie Verfügbarkeit eines Arzneimittels den regelmäßigen Gang zum Facharzt (weiter) reduzieren, birgt das neben den genannten Risiken auch Risiken für unentdeckte geschlechtsspezifische Krankheiten oder sexuell übertragbare Infektionen, die undiagnostiziert und unbehandelt bleiben.
Die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln schützt im Übrigen auch vor deren Missbrauch. Im Fall von Kontrazeptiva ist beispielsweise eine erzwungene und/oder verheimlichte Verabreichung des Medikaments gegen den Willen einer Frau oder eines Mädchens möglich, um deren Empfängnis zu verhindern.

In Deutschland hat jede gesetzlich Krankenversicherte aus gutem Grund Anspruch auf eine ärztliche Verhütungsberatung, begleitende notwendige medizinische Untersuchungen und gegebenenfalls die Arzneimittel-Verschreibung. Derzeit übernimmt die gesetzliche Krankenkasse bis zum 22. Lebensjahr die Kosten eines verschreibungspflichtigen Verhütungsmittels. Somit ist eine Entlassung von Desogestrel aus der ärztlichen Verschreibungspflicht aus medizinischer Sicht nicht zu empfehlen und wäre für die Anwenderinnen mit einem vermeidbaren Risikopotential behaftet.

Hintergrund zum Antrag der Entlassung eines Wirkstoffs aus der Verschreibungsplicht

Anträge zur Aufhebung der Verschreibungspflicht von Arzneimitteln können von unterschiedlichen Interessenten gestellt werden, in der Regel sind das pharmazeutische Unternehmen oder Behörden. Der Antrag wird zunächst vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft und anschließend auf die Tagesordnung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht gesetzt. Dieses Gremium tagt regulär zweimal im Jahr. Das Votum des Sachverständigenausschuss ist nur eine fachliche Empfehlung und nicht bindend für das Bundesgesundheitsministerium mit seiner finalen Entscheidung, das jedoch in der Regel dem Votum des Ausschusses folgt. Das Verordnungsgebungsverfahren endet mit der Publikation der Änderungsverordnung zur Arzneimittelverordnung, die im Bundesgesetzblatt erfolgt. Erst mit dieser Veröffentlichung steht dann fest, ob den Empfehlungen des Ausschusses vom Verordnungsgeber gefolgt wurde.

Quellen und weitere Informationen:

(1) 88. Sitzung (23. Januar 2024 per Videokonferenz) – Kurzprotokoll; Sachverständigen-Ausschuss für Verschreibungspflicht nach § 53 Absatz 2 AMG
(2) Stellungnahme Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) zur Rezeptbefreiung von Desogestrel 75 µg Tagung des Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht am 23. Jan. 2024 (16.01.2024; nicht öffentlich)
(3) M. Shamseddin et al; Contraceptive progestins with androgenic properties stimulate breast epithelial cell proliferation; EMBO Mol Med. 2021 Jul 7;13(7):e14314. doi: 10.15252/emmm.202114314. Epub 2021 May 27